Autonome Autos in ausweglosen Situationen

90 Prozent weniger Verkehrstote. Sollte sich diese Expertenprognose zum autonomen Fahren bewahrheiten, wären weltweit jährlich „nur“ noch 120.000 statt 1,2 Mio. Opfer zu beklagen.

Ein echter Fortschritt, zweifellos. Doch an den verbleibenden 10 Prozent werden auch autonome Autos beteiligt sein. Und wie soll sich ein selbstfahrendes Auto verhalten, wenn ein Crash - z.B. in Folge defekter Bremsen – unvermeidlich ist: Soll es seinen Weg dann so wählen, dass seine Insassen möglichst unversehrt bleiben? Soll es dafür in Kauf nehmen, dass andere Verkehrsteilnehmer dabei zu Schaden kommen? Oder soll es eher den Schutz Unbeteiligter an oberste Stelle setzen?

Mit dieser Frage beschäftigt sich der Sozial- und Computerwissenschaftler Iyad Rahwan. Gemeinsam mit seinem Forschungsteam geht er am Massachusetts Institut of Technology (MIT) der Frage nach, welche Verhaltensweisen autonomer Fahrzeuge gesellschaftlich akzeptiert werden.

Eigeninteresse gegen Gemeinwohl

Das Ergebnis einer der Umfragen im Rahmen des Forschungsprojektes offenbart ein soziales Dilemma, das ein wenig an das Sankt-Florian-Prinzip erinnert (Heiliger Sankt Florian / Verschon’ mein Haus / Zünd’ and’re an!): Autofahrer wollen fahrerlose Autos kaufen, in denen sie als Passagier selbst absolut sicher sind. Gleichzeitig erwarten sie jedoch von allen anderen das genaue Gegenteil. Deren Autos sollen nicht die Sicherheit der Insassen, sondern die der anderen Verkehrsteilnehmer als oberstes Ziel haben. Rational nachvollziehbar, aber nicht machbar.

Vom Gedankenexperiment zur Online-Befragung

Um herauszufinden, welche moralischen Abwägungen Menschen unterschiedlichster Altersgruppen und Herkunft in ausweglosen Situationen akzeptieren, hat das Forscherteam eine interaktive Befragungsplattform namens Moral Machine ins Netz gestellt. Mit dieser können Nutzer ihre eigenen Moralvorstellungen testen und das Unfall-Szenario mit unterschiedlichsten Opferarten (Menschen und Tiere) durchspielen und ihre Entscheidungen mit denen anderer vergleichen. Die Frage bleibt dabei immer dieselbe: Wessen Tod sollte das fahrerlose Auto dabei in Kauf nehmen?

Mehr als eine Million Menschen aus aller Welt haben sich an der Befragung per Moral Machine bereits beteiligt. Ein paar der teilweise recht eigenwilligen Entscheidungsergebnisse präsentiert Iyad Rahwan in diesem Video, das das Forschungsprojekt vorstellt.

TED Talk | TED.com

Kompromissbereitschaft als Basis für Regeln

Das Fazit aus dieser Untersuchung formuliert das Forscherteam wiederum als Frage: Wie bringt man eine Gesellschaft dazu, Kompromisse durchzusetzen? „Erst wenn wir die Vorschriften für fahrerlose Autos nicht nur als technologisches Problem betrachten, sondern als gesellschaftliches Kooperationsproblem, können wir anfangen, die richtigen Fragen zu stellen“, so Rahwan.

Die Frage ist nicht ob, sondern wann

Autonome Autos sind kein fernes Zukunftsszenario mehr. Versuchsprojekte laufen bereits überall auf der Welt. Auch in Berlin entsteht auf der Straße des 17. Juni eine Teststrecke. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Ethik-Kommission hat im Juni 2017 die weltweit ersten Leitlinien für ethische Fragen bei selbstfahrenden Autos präsentiert.

Starten oder warten?

Angesichts der Probleme, die die Entwicklung dieser Technologie noch birgt, könnte man geneigt sein, auf ihren Einsatz zu verzichten oder ihn um Jahrzehnte aufzuschieben, bis autonome Autos zu 100 Prozent unfallfrei sind. Doch das hieße auch, weitere Millionen Verkehrstote in Kauf zu nehmen, gibt Iyad Rahwan zu bedenken. Und er benennt damit ein gewichtiges Argument, das ebenfalls Teil aller ethischen Abwägungen von Eigeninteresse und Gemeinwohl sein sollte.


Abbildung: chombosan