Verfahrenes Verfahren: Diesel-Streit

Seit Jahren des Stillstands scheint wieder etwas Bewegung in die Diskussion gekommen zu sein, wie mit den Folgen des Dieselbetrugs der Hersteller umgegangen wird. Seit kurzem verhandelt die Bundesregierung über sogenannte Umtauschprämien und Hardware-Nachrüstung. Ist damit eine verbraucherfreundliche und wirklich überzeugende Lösung des Problems tatsächlich in Sicht? Zweifel sind angebracht.

Option Umtauschprämie

Die Macht der Automobilkonzerne scheint ungebrochen. Sie zeigen sich geneigt, sogenannte Umtauschprämien zu gewähren: Wer sich von seinem EURO-4- oder EURO-5-Diesel trennt und dafür ein sauber(eres) neues Auto kauft, dem wollen die Hersteller je nach Marke zwischen 4.000 und 10.000 € Rabatt gewähren. Doch wem hilft diese Offerte? Nicht jeder, der von den drohenden Fahrverboten betroffen ist, kann sich ein neues Auto leisten. Vor allem dann nicht, wenn er erst vor wenigen Jahren in gutem Glauben ein vermeintlich sauberes gekauft hat.

So scheint angesichts der Neuwagenpreise und der bereits heute verhandelbaren Rabatte diese Umtauschprämie vor allem eines zu sein: ein Sonderverkaufsprogramm für die Hersteller, wie sogar Manager der Autoindustrie freimütig eingestehen (Süddt. Ztg. v. 04.10.18).

Option Hardware-Nachrüstung

Diese von der Bundesregierung in die Verhandlung eingebrachte Forderung stößt bei den Herstellern auf massiven Widerstand: Nicht praktikabel, zu teuer, zu riskant, nicht effizient, lauten die Gründe.

Stand im Zuge der Debatte zwischenzeitlich mal die Zahl von 3.000 € als durchschnittliche Kosten für eine Umrüstung im Raum, so wollen die Hersteller, mit Ausnahme von Volkswagen und Daimler, von dieser Maßnahmen nichts wissen. Opel lehnt Nachrüstungen kategorisch ab, ausländische Hersteller ebenfalls. Und auch die Bayrischen Motorenwerke, die für sich in Anspruch nehmen, noch vergleichsweise saubere EURO-4- und -5-Fahrzeuge produziert zu haben, verweisen auf angebliche Risiken der Hardware-Nachrüstung. Sie loben lieber 6.000 € Rabatt beim Kauf von Neuwagen aus sowie 4.500 € beim Kauf eines jungen Gebrauchten.

Allerdings stoßen auch junge gebrauchte EURO-6-Fahrzeuge noch zu viel Stickoxid aus. Im Schnitt mehr als 500 Milligramm je Kilometer, laut Daten des Umweltbundesamtes. Erst Fahrzeuge der neuesten Bauart halten die Grenzwerte der Euro-6d-Temp-Norm ein. Auch Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer räumt der Hardware-Nachrüstung wenig Chancen ein.

Problem gelöst?

Nein. Denn entscheidende Fragen sind noch offen. 65 Städte in Deutschland reißen beim zulässigen Grenzwert die Latte. Die liegt für Stickstoffdioxid-Belastung bei 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft. In einigen Städten ist die Konzentration fast doppelt so hoch. 70 % dieser Schadstoffbelastung verursachen Dieselfahrzeuge. Das liegt u.a. auch daran, dass Euro-5-Norm-Fahrzeuge für den Prüfstand optimiert wurden, aber im Realbetrieb bis zu fünfmal mehr Stickoxide ausstoßen. So drohen in Städten wie Frankfurt/Main und Stuttgart bereits Fahrverbote.

Das Akut-Programm der Koalition setzt bei den kommunalen Fahrzeugen wie Müllabfuhr etc. an. So soll das bereits bestehende Programm zur Nachrüstung in 65 Städten ausgeweitet werden. Auf diese Weise ließen sich 28.000 Fahrzeuge nachrüsten, wobei 80 % der Kosten der Bund übernehmen würde. Diese 80-%-Regelung für die Nachrüstung soll auch für Kleintransporter von Handwerkern oder Kurierdiensten gelten, sofern sie mit ihren Fahrzeugen in den belasteten Städten verkehren. Über die restlichen 20 % strebt die Regierung eine Einigung mit der Autoindustrie an, die sich jedoch weigert.

Welche Autobesitzer können auf diese Regelung hoffen?

Zum 01.01.2018 waren in Deutschland 5.652.658 Fahrzeuge der Euro-5-Norm und 3.117.740 Fahrzeuge der Euro-4-Norm beim Kraftfahrtbundesamt registriert. Doch nicht jeder Besitzer kann auf die geplante Regelung hoffen. Denn sie ist lediglich für rund 1,4 Mio. Autofahrer vorgesehen, die in den besonders belasteten Städten leben oder arbeiten. Dazu zählen jedoch nicht sämtliche der eingangs genannten 65 Städte mit Stickstoffdioxid-Konzentrationen von mehr als 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft. Nur die 14 Städte, die einen Wert von mehr als 50 Mikrogramm Stickoxidbelastung aufweisen gelten als besonders belastet:

  • München (78)
  • Stuttgart (73)
  • Köln (62)
  • Reutlingen (60)
  • Düren (58)
  • Hamburg (58)
  • Limburg (58)
  • Düsseldorf (56)
  • Kiel (56)
  • Heilbronn (55)
  • Backnang (53)
  • Darmstadt (52)
  • Bochum (51)
  • Ludwigsburg (51)
  • [Frankfurt/Main (47)]
  • (Werte in Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahresmittel; Quelle: Umweltbundesamt)

    Weitere Städte und Landkreise können jedoch hinzukommen, wenn dort, wie zum Beispiel in Frankfurt/Main per Gericht Fahrverbote angeordnet werden.

    Diese Regelung, so sie denn einmal wirklich in Kraft treten sollte, würde also ebenfalls nicht für alle der bundesweit insgesamt rund 8,8 Mio. Dieselfahrzeuge gelten, sondern lediglich für 1,4 Mio. Fahrzeuge, also knapp ein Sechstel. Alle anderen würden weder einen Rabatt angeboten noch eine Nachrüstung finanziert bekommen und müssten zudem mit Bußgeldern rechnen, wenn sie in Städte mit Dieselfahrverboten einfahren und dort erwischt werden.

    Für entsprechende stichprobenartige Kontrollen soll im zentralen Fahrzeugregister zusätzlich die Information hinterlegt werden, ob ein Auto nachgerüstet ist oder die Grenzwerte einhält. Geldbußen müssen noch festgelegt werden. Die Forderung des Städtetags nach einer blauen Plakette ist vom Tisch.

    Was für die Rabattaktion spricht

    Wenn der Erwerb neuer schadstoffärmerer Fahrzeuge dadurch tatsächlich angekurbelt wird, könnte sich dies positiv auf die Emissionsbilanz in den Kommunen auswirken, da der Anteil älterer Fahrzeuge damit vermutlich abnehmen würde. Denn Fahrzeugtypen der neuen strengeren Abgasnorm Euro-6d-Temp müssen zwei neue Testverfahren durchlaufen haben: den WLTP (World Harmonized Light Vehicle Test Procedure) und weltweit einmalig einen zusätzlichen auf der Straße, den RDE ("Real Driving Emissions-Test"). Diese Verfahren sollen wesentlich realitätsnäher sein als das bisherige Verfahren auf dem Prüfstand, das sich als unwirksam erwiesen und zum Dieselskandal wesentlich beigetragen hat.

    Fürsprecher dieser Variante sind nicht nur auf Seiten der Autolobby zu finden. Auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, Mitglied der Grünen und bekannt dafür, nicht unbedingt immer auf Linie seiner Partei zu liegen, präferiert diese Option (DPA-Meldung vom 01.10.2018).

    Was für die Hardware-Nachrüstung spricht

    Sie wäre kostengünstiger zu realisieren und könnte den Anbietern zufolge die Emissionen älterer Fahrzeuge deutlich reduzieren. Autos, die an sich noch in gutem Zustand sind, können weiter genutzt werden, was Ressourcen schont. Betroffene Autofahrer, die kein Geld für einen Neuwagen haben, könnten auf diese Weise drohenden Fahrverboten entgehen.

    Bliebe da noch die Frage der Umsetzung: Niemand hat die erforderlichen Nachrüstbausätze zu hunderttausenden auf Halde. Sie müssten ebenfalls erst produziert werden. Und das dürfte erst geschehen, wenn sicher ist, dass die Nachrüstung auch tatsächlich beschlossen wird. Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus.

    Welche anderen Wege es gibt

    Verbraucherschützer machen noch auf eine weitere Möglichkeit aufmerksam, die geprellten VW-Dieselfahrzeugbesitzern offen steht: Der Anschluss an die Muster-Feststellungsklage. Nötig ist dafür lediglich der Eintrag in das Klageregister. Dieses wird, so Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentrale, möglicherweise noch im November 2018 vom Bundesamt für Justiz eröffnet.

    Wer sich einträgt, kann im besten Fall von einem positiven Urteil profitieren und läuft nicht Gefahr, dass seine Ansprüche verjähren. Die Teilnahme ist kostenlos und das Risiko, im Falle einer Niederlage auf hohen Kosten sitzen zu bleiben, liegt allein beim Verband. Weiterer Vorteil dieses Klageweges: Das Verfahren überspringt eine Instanz und wird gleich am Oberlandesgericht, in diesem Fall Braunschweig, geführt. Danach dürfte die unterliegende Partei noch zum Bundesgerichtshof ziehen, so dass mit einer endgültigen Entscheidung erst in ca. fünf Jahren zu rechnen ist.

    Doch wenn dann einmal ein höchstrichterliches Urteil und das hoffentlich zu Gunsten der Kläger vorliegt, muss der Beklagte, in diesem Fall Volkswagen, Farbe bekennen. Dann hat der Konzern die Wahl einzulenken und nach einem Vergleich die Kunden zu entschädigen. Oder er kann auf stur schalten. In diesem Fall müsste dann jeder Kunde einzeln vor Gericht ziehen und die Höhe seiner Entschädigung einklagen. Und das, so Müller, dürfte dann mit dem höchstrichterlichen Urteil im Rücken, für die Rechtsanwaltskanzleien ein einträgliches Geschäft sein: „Wie ein Elfmeter ohne Torwart.“

    Update vom 10.10.2018:

    Diesel-Fahrverbote drohen nun auch in Berlin. Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Hauptstadt bis Mitte 2019 für mehrere stark belastete Straßen Fahrverbote verhängen muss. So ist die Senatsverwaltung für Verkehr verpflichtet, bis zum 31. März 2019, einen verschärften Luftreinhalteplan mit entsprechenden Vorschriften zu erlassen. Laut der richterlichen Entscheidung müssen bis spätestens Ende Juni 2019 die Fahrverbote für mindestens elf Straßenabschnitte umgesetzt werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

     

     

     


    Foto: Riko Best

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