Schlaftrunkenheit am Steuer - Unfallfaktor Müdigkeit

Wer schläft, sündigt nicht – eine steile These. Schätzungen zufolge sterben hierzulande im Straßenverkehr mehr als doppelt so viele Menschen durch Einschlafen als durch Alkohol. Wenn ein Auto in den frühen Morgenstunden ungebremst in eine Hauswand kracht oder ein Lkw auf gerader Strecke in ein Stauende rast, ist oft Sekundenschlaf im Spiel.

Wichtigstes Indiz sind die Begleitumstände. Denn Sekundenschlaf als Ursache medizinisch nachzuweisen, ist schwieriger als beim Alkohol: Nach dem Crash ist der Adrenalinpegel hochgeschnellt, die Schläfrigkeit wie weggeblasen. Und wer gibt schon freiwillig zu, am Steuer eingenickt zu sein.

„Einschlafen am Steuer ist eine Straftat“, wird Hans Günter Weeß, Schlafforscher von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) nicht müde zu betonen. So zählten Schläfrigkeitsunfälle oft zu den schwersten Unfällen überhaupt. Zudem geht die DGSM davon aus, dass nahezu die Hälfte – 42 Prozent – aller nächtlichen Unfälle durch mindestens einen ermüdeten Fahrer verursacht werden.

Trio fatal: Müdigkeit, Tageszeit und Eintönigkeit

Weitere Risikofaktoren sind die Tageszeit und Streckenverlauf. Erkenntnissen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zufolge passieren die meisten Müdigkeitsunfälle in den frühen Morgenstunden zwischen sechs und acht Uhr und am Nachmittag zwischen 14 und 16 Uhr, dem zweiten Leistungstief des Tages, umgangssprachlich auch als „Schnitzelkoma“ bezeichnet.

Jürgen Zulley, Schlafforscher an der Universität Regensburg, sieht ebenfalls einen direkten Zusammenhang zwischen Tageszeit und Aufmerksamkeit: „Viele Unfälle durch Schläfrigkeit passieren in der zweiten Nachthälfte zwischen 3 und 6 Uhr. Dann sinkt die biologische Leistungsfähigkeit auf ein Tief.“

Dass ein monotoner Streckenverlauf ebenfalls Müdigkeit fördert, legte bereits in den 1990er-Jahren eine Studie des HUK-Verbands nahe. Sie kam zu dem Schluss, dass auf deutschen Autobahnen etwa jedes vierte Todesopfer auf Sekundenschlaf zurückzuführen ist und machte hierfür auch die Länge der Entfernungen, verbunden mit geringer Aktivität und eintöniger Umgebung verantwortlich.

Fehlender Schlaf wirkt wie Alkohol.

Fehlender Schlaf beeinträchtigt wie Alkohol das Reaktionsvermögen. In einem Interview mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DRV) veranschaulicht Schlafforscher Weeß sehr prägnant die Wirkung von Schlafmangel: „Wer siebzehn Stunden wach ist, hat ein vermindertes Reaktionsvermögen, das dem bei 0,5 Promille Blutalkohol entspricht. Und wer 22 Stunden ohne Schlaf ist, hat ein Reaktionsvermögen, das 1,0 Promille Blutalkohol entspricht“.

Wer mit 0,5 Promille Blutalkohol am Steuer erwischt wird, muss hierzulande mit zwei Punkten in Flensburg, einem Monat Fahrverbot und bis zu 500 € Bußgeld rechnen – selbst, wenn er keine Anzeichen von Fahrunsicherheit zeigt. Wer also sein Schlafbedürfnis ignoriert, verhält sich strenggenommen wie jemand, der betrunken Auto fährt.

Pendler besonders gefährdet

Wer glaubt, eine Strecke im Schlaf zu kennen, ist besonders gefährdet, mahnt der DVR. Laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) pendeln rund 18,4 Mio. Menschen täglich zwischen Wohnort und Arbeitsplatz – viele davon mit dem Auto. Oft brechen sie vor Tau und Tag auf, um Staus zu vermeiden und pünktlich zu sein. Bleibt der Schlaf dabei auf der Strecke, setzt man sich und andere einem erhöhten Risiko aus. Denn nur wer ausreichend geschlafen hat, ist fit für die Fahrt und alles andere, was der Tag so bringt.

Tipps gegen Müdigkeit

Auf eigenen Schlaftyp Rücksicht nehmen

Lerche oder Eule? Lerchen werden abends früher müde, kommen dafür aber morgens leichter aus den Federn. Eulen hingegen sind nachtaktiver und brauchen dafür morgens mehr Anlauf zum Munterwerden.

Fahrrhythmus anpassen

Lerchen sollten nach der Arbeit nicht direkt losfahren, sondern lieber noch ein bisschen Luft schnappen, um plötzlich auftretende Müdigkeit während der Heimfahrt zu vermeiden. Eulen hingegen sollten morgens erst starten, wenn sie wirklich wach sind. Auch Fahrgemeinschaften sind eine gute Idee, um sich fahren zu lassen oder mit wacher Begleitung zu umgeben. Und wer die Möglichkeit hat, beim Pendeln komplett auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, kann seine Zeit unterwegs unter Umständen noch viel entspannter nutzen.

Geeignete Sofortmaßnahmen ergreifen

Wenn während der Fahrt die Augenlider schwer werden, die Augen zu brennen beginnen und das Gähnen zunimmt, hilft nur noch eines: Pause machen und sich ein kurzes Schläfchen von 10 bis 20 Minuten gönnen. Auch etwas Bewegung an der frischen Luft hilft, den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Keine gute Idee hingegen ist es, diese Warnzeichen zu ignorieren und einfach weiterzufahren. Moderne Fahrzeuge mit Assistenzsystemen verfügen in der Regel über eine Müdigkeitserkennung. Diese hilft allerdings auch nur, wenn man ihren Empfehlungen Folge leistet.

Ungeeignete Maßnahmen

Offenes Fenster, laute Musik, becherweise Kaffee oder Energydrinks oder hohes Fahrtempo sind als Aufmerksamkeitskick ausdrücklich nicht zu empfehlen.

Rechtzeitig auf Zeitumstellung einstellen

Ob der Wechsel von Sommer- und Winterzeit abgeschafft wird, steht noch in den Sternen. Neben einer recht durchwachsenen Nutzenbilanz bringt das Drehen an der Uhr für manchen Schlafprobleme, Gereiztheit und mangelndes Konzentrationsvermögen mit sich. Vor allem Kinder, ältere Menschen und wer ohnehin schon mit Schlafproblemen zu kämpfen hat, tut sich mit dem Hin und Her der Zeitumstellung schwer.

Als Mittel gegen den Zeitumstellungsblues empfehlen Schlafforscher Folgendes: Bei Umstellung auf Sommerzeit bereits eine Woche vorher das Aufstehen, Essen und Schlafengehen um eine halbe Stunde nach vorne verlegen. Bei Umstellung auf Winterzeit das Ganze entsprechend um eine halbe Stunde nach hinten verschieben. Mit diesem einfachen Trick kann sich der Biorhythmus leichter an die Zeitumstellung gewöhnen. Das beugt Schlafstörungen vor und sorgt für einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus.

Vielleicht sorgt die EU ja wirklich demnächst für ein Ende der Zeitumstellung. Zumindest hierzulande schwindet die Zahl der Befürworter. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Krankenkasse DAK liegt ihr Anteil nur noch bei 18 Prozent. Und in einer EU-weiten Online-Befragung im Sommer 2018 votierten rund 84 Prozent für ein Ende der Zeitumstellung. Bleibt nur noch die Frage, welche Zeit dann auf Dauer gelten soll: „Normalzeit“, also Winterzeit, oder Sommerzeit. Und auch in dieser Frage dürften Lerchen und Eulen unterschiedliche Vorlieben haben.

 

 

 


Foto: starsstudio

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