Kinderbeförderung per Fahrrad

Der E-Antrieb hinterlässt nicht nur im Automobilbau Spuren. Auch einer Fahrradgattung hat er neues Leben eingehaucht: dem Lastenfahrrad. Musste einst der Lehrling des örtlichen Kaufmannsladens oder der Postbote im Schweiße seines Angesichts in die Pedale treten, übernimmt dies nun diskret ein Elektroantrieb. Dies dürfte auch den Siegeszug des Lastenfahrrads als Transportvehikel für den Familiennachwuchs und Wochenendeinkauf erklären. Ein Grund zur Freude? Nicht ganz. Das sagt zumindest die Unfallforschung der Versicherer (UDV).

Mittlerweile ziehen die recht ungelenk wirkenden Vehikel auch Hohn und Spott oder gar Hass auf sich. Manch passionierter Radfahrer rümpft die Nase, wenn so ein Öko-SUV den Radweg entlangpflügt oder die Fahrradabstellfläche blockiert. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) sieht die Beförderung von Kindern per Lasten-E-Bike ebenfalls kritisch. Aber auch bei Fahrrad-Anhänger und -Kindersitz herrschen laut UDV-Untersuchung nicht nur eitel Sonnenschein. Die wesentlichen Erkenntnisse und Empfehlungen zu den Beförderungsarten von Kindern per Fahrrad haben wir hier für Sie zusammengestellt.


Das sagt die Unfallstatistik
Das sagt die Verkaufsstatistik
Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten für die Mitnahme von Kindern per Fahrrad
Worin sich die Nutzung von Lastenrad, Anhänger und Fahrradsitz unterscheiden
Helm- und Gurtnutzung
Aktive und passive Sicherheit von Sitz, Anhänger und Lastenfahrrad
Was die UDV für die Kinderbeförderung per Fahrrad empfiehlt
Die vielleicht wichtigste UDV-Empfehlung

Das sagt die Unfallstatistik

Mehr Radverkehr bedeutet leider auch mehr Radunfälle. Im Jahr 2022 registrierte die Polizei insgesamt 70.496 Radunfälle mit Personenschäden, was einem Anstieg um 11 Prozent gegenüber Vor-Corona-Niveau entspricht. Der Anteil an Radunfällen mit mitfahrenden Kindern ist zwar noch gering (222 Fälle im Jahr 2022, davon 210 leichtverletzt und 12 schwerverletzt). Die Zahl steigt aber ebenfalls. So war für das Jahr 2022 ein Anstieg um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu verzeichnen. (Quelle: Polizeiliche Unfalldaten EUSKA, 2019-2020)

Unfallgegner Nr. 1 ist der Pkw. Bei den Alleinunfällen ist der Anteil der Unfälle mit mitfahrenden Kindern deutlich höher als bei Radunfällen insgesamt. Geht bei Fahrten mit dem Lastenfahrrad und Fahrrad mit Kindersitz etwas schief, handelt es sich am häufigsten um einen Fahrunfall (Alleinunfall ohne sonstige Beteiligung). Unfälle beim Einbiegen oder Kreuzen sind hingegen typisch für Fahrräder mit Fahrradanhänger.

Das sagt die Verkaufsstatistik

Lastenfahrräder mit E-Antrieb haben Konjunktur. Wurden im Jahr 2018 bundesweit knapp 40.000 Stück verkauft, waren es im Jahr 2022 mehr als viermal so viele: 165.000.

Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten für die Mitnahme von Kindern per Fahrrad

Wer unsicher ist, ob und wie er sein Kind per Fahrrad befördern kann, findet eine erste Orientierung in den gesetzlichen Vorgaben. Dass Kinder in der Regel nur bis zum Alter von sieben Jahren Beifahrer sein und dabei maximal 22 kg wiegen dürfen, dürfte so manchen Fahrrad-Chauffeur überraschen.

Generell:

  • Die Rad fahrende Person muss mindestens 16 Jahre alt sein.
  • Kinder bis max. 7 Jahre dürfen transportiert werden (für Kinder mit Handicap gilt keine Altersgrenze).
  • Es gibt kein Mindestalter für mitfahrende Kinder.

Kindersitz:

  • Der Sitz muss DIN 14344 entsprechen und Kinder an Schulter, Schritt und/oder Taille sichern.
  • Verkleidungen o.Ä. müssen verhindern, dass Kinderfüße in die Speichen geraten können.
  • Gewichtslimit für Kinder auf vor dem Lenker montierten Kindersitzen: 15 kg
  • Gewichtslimit für Kinder auf an Sattelrohr oder Gepäckträger montierten Kindersitzen: 22 kg

Fahrradanhänger:

  • Der Anhänger muss DIN EN 15918 entsprechen und u.a. über geeignete Sitze, Dreipunkt-Gurt mit Schulter- und Schrittgurt verfügen.
  • Bis zu zwei Kinder dürfen darin befördert werden.

Lastenrad:

  • Das Gefährt muss DIN 79010 entsprechen.
  • Geeignete Kindersitze mit Gurtsystem für jedes damit beförderte Kind sind Pflicht.

Worin sich die Nutzung von Lastenrad, Anhänger und Fahrradsitz unterscheiden

Wer den Radverkehr in Berlin kennt, wird zustimmen: Berlin ist vermutlich auch die Hauptstadt des Lastenrades und war somit idealer Ort der UDV-Felduntersuchung mit Nutzerbefragung und -tests. Dabei zeigte sich u.a., dass der überwiegende Teil (53 Prozent) der Befragten Lastenradfahrer ein dreirädriges Modell nutzten.

Helm- und Gurtnutzung

Rund 43 Prozent der Kinder, die per Kindersitz, Fahrradanhänger oder Lastenrad befördert werden, tragen keinen Helm. 21 Prozent sind nicht oder nur unzureichend angegurtet. Dennoch gibt es hier Unterschiede, die auf das Risikobewusstsein der Befragten schließen lassen.

Bei Kindern, die per Fahrradsitz auf dem Fahrrad mitgenommen werden, ist die Nutzung von Helm (79 Prozent) und Gurt (87 Prozent) noch am höchsten. Kinder, die per Anhänger oder Lastenrad kutschiert werden, tragen deutlich seltener einen Helm und zwar etwa nur die Hälfte: im Fahrradanhänger 49 Prozent, im Lastenrad 50 Prozent.

Sind Anhänger und Lastenrad wirklich so viel sicherer, dass man auf einen Helm verzichten könnte?

Aktive und passive Sicherheit von Sitz, Anhänger und Lastenfahrrad

Die UDV untersuchte auch die Fahrdynamik der drei Transportarten Fahrradsitz, Anhänger und Lastenrad: das Verhalten bei Vollbremsung, Slalomfahrt, stationärer Kreisfahrt und beim Ausweichmanöver. Dabei zeigten sich die Stärken und Schwächen der Beförderungsarten sehr deutlich:

  • Lastenfahrräder
    Sie zeigen ein sehr gutes Bremsverhalten, sind jedoch sehr kippanfällig, schwer lenkbar und wenig agil. Sie bieten keinerlei Schutz für Kopf und Oberkörper. Sitzbänke und Rückenlehne sind für die Kindertransport nicht ausreichend.
  • Fahrradanhänger
    Ihre Sicherheitszelle bietet gutes Schutzpotential bei einem Unfall. Aufgrund ihrer Länge und Breite machen die Anhänger jedoch Probleme beim Kurvenfahren und neigen dazu, an Hindernissen hängenzubleiben. Bei Gefahrenbremsungen stellen sie sich quer und sind bauartbedingt schlecht erkennbar.
  • Kindersitze
    Wesentlicher Schwachpunkt dieses Klassikers der Kinderbeförderung ist sein hoher Schwerpunkt. Das Fahrrad wird instabil, besonders bei der Ausreizung des Höchstgewichts für die Kindermitnahme (derzeit 22 kg). Es besteht Sturzgefahr beim Stehen, Anfahren, Ausweichen und Bremsen. Die Fallhöhe birgt größere Verletzungsgefahr.

Was die UDV für die Kinderbeförderung per Fahrrad empfiehlt

Egal, ob die Kinder im Fahrradkindersitz, Anhänger oder Lastenrad mitfahren: Ein gutsitzender Helm und straffgezogene Gurte können die Fahrt deutlich sicherer machen. Bezogen auf die einzelnen Transportarten bringt die UDV folgende Empfehlungen ins Spiel:

Empfehlungen für Lastenfahrräder
Fahrwerke mit Neigetechnik machen die Fahrzeuge deutlich stabiler. Geeignete und fest verankerte Sitze, wirksame Gurte sowie ein integrierter Kopfschutz erhöhen die Sicherheit. Ebenso seien Zulassungstest für den Kindertransport sinnvoll. Die Aufnahme der Beförderungsart in die Unfallanzeige der Polizei könnte die verfügbaren Unfalldaten künftig noch transparenter machen. Ebenfalls aus Sicht der UDV sinnvoll wäre eine Begrenzung von Größe und Gewicht der Lastenfahrräder.

Empfehlungen für Anhänger
Für bessere Sichtbarkeit empfiehlt die UDV eine fest verbaute robuste Beleuchtung, eine ebenfalls fest verbaute teleskopierbare Fahne mit Blinklicht. Das gefährliche Querstellen bei starken Bremsmanövern könnte eine eigene Bremse verhindern helfen. Die bereits bestehende Schutzwirkung der Sicherheitszelle könnten Seitenaufprall- und Kopfschutz zusätzlich verbessern.

Empfehlungen für Kindersitze
Hier spricht sich die UDV für eine Reduzierung des Höchstgewichts von aktuell 22 kg aus. Unabhängig davon könnte ein Dreibeinständer, ähnlich dem von Motorrädern, das Hineinsetzen und Herausnehmen des Kindes erleichtern. Mehr Seitenschutz im Kopfbereich wäre laut UDV ebenfalls eine wirksame Maßnahme.

Die vielleicht wichtigste UDV-Empfehlung

Statt Kinder bis zur Belastungs- und Altersgrenze huckepack oder im Schlepptau zu befördern, sollten sie möglichst frühzeitig selbst das Fahrradfahren lernen und mit dem Verkehrsgeschehen vertraut gemacht werden. Natürlich begleitet durch die Eltern.

Welche Regeln für das Befahren von Gehwegen gelten, lesen Sie hier.

Und was der Kabarettist Dieter Nuhr als Experte für Lebens- und Sinnfragen aller Art zu dem Thema zu sagen hat, soll an dieser Stelle ebenfalls nicht unerwähnt bleiben (externer Link zu YouTube).

 

 

 


Bild: PEAK.B / Maria Gerasimova

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