Behindertengerechter Fahrzeugumbau: die Handicaps

Das Auto – Inbegriff der Freiheit. Für Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, gilt dieses Credo doppelt. Und keine Frage: Es hat sich viel getan auf diesem Gebiet. Die Technik ist immer ausgefeilter geworden und kann immer mehr den individuellen Bedürfnissen ihrer Nutzer Rechnung tragen. Spezialisten in Deutschland, der Wiege des Automobils, haben mit Innovationskraft und Ingenieurskunst auch auf diesem Terrain Maßstäbe gesetzt. Doch bis man sich (wieder) ans Steuer setzen kann, sind nicht nur technische Hürden zu meistern.

Wer trägt die Kosten für den Umbau?

Je nach behinderungsbedingtem Bedarf und der Zuständigkeit im Einzelfall kommen verschiedene Kostenträger in Frage (z.B. Jobcenter, Rentenversicherung, Landschaftsverbände). Erfahrungsgemäß kann es hier zu Unklarheiten kommen.

Kompetente Begleitung für mobilitätseingeschränkte Personen auf dem Weg zum behindertengerecht umgebauten Fahrzeug bieten die im Verband der Fahrzeugumrüster in Deutschland e.V. (VFMP) organisierten Fachbetriebe. Der VFMP e.V. zählt 27 Mitgliedsbetriebe (externer Link) und repräsentiert damit rund 85 Prozent des Umrüstermarktes. Mit dem Ziel einer möglichst individuellen und bedarfsgerechten Versorgung von behinderten Menschen und Senioren vertritt der Verband auf nationaler und internationaler Ebene die Interessen seiner Mitglieder gegenüber zahlreichen Institutionen und Herstellern.

Die gesetzlichen Grundlagen der Kraftfahrzeughilfe sind klar geregelt. Sie finden sich zum einen in der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) § 20 „Hilfen zum Erreichen des Arbeitsplatzes“ (externer Link) und zum anderen in der Verordnung über Kraftfahrzeughilfe (KfzHV) zur beruflichen Rehabilitation (externer Link). 

Kostenträger der Kraftfahrzeughilfe ist für Sozialversicherte der jeweilige Rehabilitations-Träger: die gesetzliche Rentenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung oder die Agentur für Arbeit. Denn die Hilfe zählt zu den Leistungen für berufliche Rehabilitation. Sie soll Menschen mit einer Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Für Selbstständige und Beamte ist das Integrationsamt zuständig.

Welche Gutachten erforderlich sind: 

Es sind mehrere Gutachten erforderlich (z.B. ein medizinisches Gutachten, ein Eignungsgutachten vom TÜV und ein Gutachten nach § 11 der Fahrerlaubnisverordnung [FeV]), um den Umbau genehmigen und die technischen Hilfsmittel in die Fahrzeugpapiere eintragen zu lassen.

Was die Kfz-Versicherung wissen muss: 

Fahrzeugumbauten müssen der Kfz-Versicherung gemeldet werden. Dies kann zwar dazu führen, dass die Versicherungsbeiträge höher ausfallen als bei regulären Fahrzeugen. Doch um in Schadenfall keine bösen Überraschungen zu erleben und möglicherweise auf Kosten sitzen zu bleiben, hat die Versicherung einen Anspruch darauf, vorab über die Art des Umbaus informiert zu werden, um die Modifikationen bei der Beitragsberechnung berücksichtigen zu können. 

Gut zu wissen: Der BAVC bietet Mitgliedern mit Handicap zusätzliche Leistungen – nicht nur im Pannenfall mit dem PKW, sondern auch bei Pannen mit dem Elektrorollstuhl oder Scooter.

Welche technischen Herausforderungen heute zu meistern sind:

Genügte vor zwanzig Jahren in vielen Fällen ein mechanisches Gas-Bremssystem, das per Hand bedient wurde, stoßen Umbauspezialisten heute auf ganz andere Herausforderungen. Moderne Autos sind rollende Computer mit komplexer Elektronik, Assistenzsystemen und vernetzten Steuerungen. 

In vollelektrischen Autos sind außerdem massive Batteriemodule verbaut. Wer in diese Systeme eingreift, braucht nicht nur ein tiefes technisches Verständnis, sondern sieht sich auch in rechtlicher Hinsicht mit enormen Hürden konfrontiert: Jede Änderung darf nur erfolgen, wenn sie die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet und den strengen Vorgaben der Fahrzeugzulassung entspricht. Ist das das Ende für den individuellen Fahrzeugumbau für Menschen mit Handicap? 

Einer der führenden Spezialisten für behindertengerechte Fahrzeugumbauten, PARAVAN, gibt sich optimistisch: „Im Prinzip gilt hier das Gleiche wie beim Umbau von herkömmlichen Verbrennern. Je mehr Platz ein Auto bietet, desto mehr Spielraum gibt es für behindertengerechte Umbauten. Vor allem Vans, Hochdach-Kombis oder Kleintransporter bieten genügend Platz auch für komplexere Anpassungen. Sind keine Arbeiten an der Karosserie nötig, lassen sich fast alle Fahrzeugtypen an Handicaps anpassen. Problemlos zu integrieren sind zum Beispiel Fahr- und Lenkhilfen oder die Steuerung von Sekundärfunktionen via Fernbedienung.“

Jedoch nennt auch der Spezialist hierfür eine Bedingung: Der Fahrer muss in der Lage sein, sich aus eigener Kraft ans Steuer zu setzen. Ist dies nicht gegeben, kann die Umrüstung beim E-Auto technisch sehr herausfordernd oder gar unmöglich werden.

Herausforderung E-Antrieb:

Sind für eine Umrüstung an einem E-Auto umfangreiche Karosseriearbeiten erforderlich, könnte dies auch eine Verlegung der Batterie nötig machen. Dies ist nicht bei allen Modellen möglich und kann nur von spezialisierten Hochvoltspezialisten vorgenommen werden. Die Größe und Position der Batterie, das zusätzliche Gewicht sowie der Platzbedarf für Umbau-Komponenten können die Reichweite und Effizienz des Fahrzeugs negativ beeinflussen. Je nach Umrüstbedarf sind vollelektrische Fahrzeuge für umfassende Umbauten daher mitunter keine Option. 

Herausforderung Gesamtgewicht:

Weiteres mögliches KO-Kriterium: Durch den Einbau von Liftsystemen, Rollstühlen und anderen Hilfsmitteln kann das zulässige Gesamtgewicht des Fahrzeugs überschritten werden. Es gibt jedoch Bestrebungen, Ausnahmeregelungen für umgerüstete E-Autos zu schaffen.

Herausforderung Bodenfreiheit:

Umbaumaßnahmen wie der Einbau eines Kassettenlifts können die Bodenfreiheit verringern das Fahrzeugs verringern. Das kann beim Fahren über Bordsteinkanten, in Parkhäusern oder auf unebenem Gelände zu Problemen führen.

Herausforderung Kosten:

Erheblich können auch die Kosten für den Umbau sein. Je nach Komplexität sind hunderte Arbeitsstunden erforderlich. Ein Aufwand, der nicht unbegrenzt durch die Sozialversicherungsträger übernommen wird, so dass man hierfür auch private Mittel einplanen muss. 

Selbst wenn der Umbau von den Kosten her und auch technisch realisierbar ist, kann es vorkommen, dass der Fahrzeughersteller Leistungen bei Garantiefällen verweigert. Grund dafür sind u.a. die regulatorischen Bedingungen. Diese sind nicht immer auf dem neuesten Stand und entsprechen nicht immer der Realität moderner behindertengerechter Mobilität.

Herausforderung Ladeinfrastruktur:

Ungemach droht leider auch von ganz anderer Seite: der öffentlichen Ladeinfrastruktur. Denn wie sich in der Praxis immer wieder zeigt, sind nicht alle öffentlichen Ladestationen so gestaltet, dass auch Rollstuhlfahrer sie nutzen können. Auch dieses Problem ist nicht mehr zeitgemäß und müsste dringend behoben werden.

Der Gesetzgeber bleibt gefordert.

Die zunehmende Komplexität moderner Fahrzeuge, neue Sicherheitsvorgaben, technische Innovationen, rechtliche Hürden und bauliche Versäumnisse sorgen dafür, dass behindertengerechte Fahrzeugumbauten insbesondere bei E-Autos komplex, herausfordernd und kostenintensiv sind. 

Mit Blick auf die angestrebte gesamtgesellschaftliche Antriebswende – weg vom Verbrenner hin zum E-Antrieb – ist es also nur folgerichtig, dass Initiativen von Verbänden und Unternehmen eine bessere Anpassung der Regularien an die Bedürfnisse von Menschen mit Handicap und an die Möglichkeiten der Technik von heute anmahnen.

 

Bild: Rafal Olechowski