Der Traum vom autonomen Fahren

Wenn auf der Autobahn der Hintermann mit Lichthupe drängelt. Wenn alle im Stau stehen und keiner daran denkt, die Rettungsgasse zu bilden. Wenn Autofahren einfach nur noch nervt. Dann wünscht man sich, der Computer würde übernehmen. Und alle gelangen, wie von Geisterhand bewegt, mühelos und entspannt ans Ziel. Dank Assistenzsystemen nimmt dieser Traum erste Züge an. Aber wie realistisch ist er wirklich?

Mensch, Umwelt, Technik – diese drei Faktoren bestimmen wie immer den Rahmen des Möglichen – Geld natürlich auch. In Versuchen mit autonomen Autos, wie sie u.a. Google seit 2009 unternimmt, wurden bereits Millionen an Testkilometern absolviert. Doch noch immer stellen komplexe Verkehrssituationen, wie etwa der Stadtverkehr, die Technik vor enorme Probleme.

Umgang mit Hindernissen

Ampeln und Verkehrsschilder – aus Menschensicht kein großes Problem. Wir können damit umgehen, wenn eine rote Ampel oder ein Verkehrsschild zeitweilig durch einen Lkw vor uns verdeckt ist oder im Gegenlicht steht. Der Computer nicht.

Fahrbahnmarkierungen – für autonome Autos eine wichtige Orientierungshilfe. Doch wenn sie fehlt, witterungsbedingt schlecht sichtbar ist oder von Baustellenmarkierungen überlagert, kennt der Computer nur ein Manöver: Bremsen und Stehenbleiben. Ein weiteres, für uns recht banales Problem: Schlaglöcher. Doch selbst die ausgefeilteste Sensor- und Detektortechnik beißt sich daran noch immer die Zähne aus.

Maschine trifft Mensch

Die Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern, zum Beispiel Radfahrern, setzt den Systemen ebenfalls enge Grenzen. Sitzen wir am Steuer, können wir uns mittels Erfahrung und Beobachtungsgabe auf den Schlingerkurs des Radfahrers und seine mitunter abrupten Richtungswechsel halbwegs einstellen. Der Computer ist davon noch weit entfernt.

Vor allem die Phase des gemischten Verkehrs, wenn autonome und nicht- bzw. teilautonome Fahrzeuge auf der Straße miteinander auskommen müssen, wirft noch Fragen auf. Hier sieht der Verkehrspsychologe, Prof. Mark Vollrath, das Dilemma zwischen der auf regelkonformes Verhalten ausgelegten Technik autonomer Systeme und der reinen Freude am Fahren menschlicher Fahrer.

Autopilot in auswegloser Situation

Wie soll ein autonomes Auto in ausweglosen Situationen reagieren? Wie ein Mensch? Anders? Gibt es überhaupt ein richtiges Reagieren? Und wer trägt die Verantwortung für das Verhalten des Autos? Der Hersteller? Der Software-Entwickler? Der Besitzer? Auch zu diesen ethischen Problemen und rechtlichen Fragen wird gegenwärtig noch intensiv geforscht und nach Antworten gesucht.

Eine vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission zum autonomen Fahren hat im Juni 2017 ihren Bericht mit Leitlinien für die Programmierung automatisierter Fahrsysteme vorgelegt. Das Dokument, das 14 Wissenschaftler und Experten aus den Fachrichtungen Ethik, Recht und Technik unter Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio erarbeitet haben, umfasst insgesamt 20 Thesen. Kernpunkte sind:

  • Das automatisierte und vernetzte Fahren ist ethisch geboten, wenn die Systeme weniger Unfälle verursachen als menschliche Fahrer (positive Risikobilanz).
  • Sachschaden geht vor Personenschaden: In Gefahrensituationen hat der Schutz menschlichen Lebens immer höchste Priorität.
  • Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung von Menschen nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) unzulässig.
  • In jeder Fahrsituation muss klar geregelt und erkennbar sein, wer für die Fahraufgabe zuständig ist: Der Mensch oder der Computer. Wer fährt, muss dokumentiert und gespeichert werden (u.a. zur Klärung möglicher Haftungsfragen).
  • Der Fahrer muss grundsätzlich selbst über Weitergabe und Verwendung seiner Fahrzeugdaten entscheiden können (Datensouveränität).

Wo autonomes Fahren am ehesten funktionieren kann

Unter idealen Bedingungen ist autonomes Fahren technisch bereits heute möglich. Folglich wird es den Weg in die Praxis am ehesten dort finden, wo die Bedingungen diesem Ideal am nächsten kommen: auf Autobahnen. Autonomes Fahren im Gewusel der Städte dürfte hingegen noch eine ganze Weile Zukunftsmusik bleiben.

Energiebedarf und Ressourcenhunger

Eine elementare Frage ist auch, wie gut es gelingt, den Energiebedarf der autonomen Systeme mit den gegenwärtig noch recht begrenzten Batterie-Ladekapazitäten elektrischer Autos in Einklang zu bringen. Denn, ob autonom oder von Menschenhand gesteuert, Verbrennungsmotoren sind klimaschädlich.

Aber auch Elektroautos sind nicht per se umweltfreundlich, nur weil sie elektrisch fahren. Entscheidend ist, wie der Strom erzeugt wird, der sie speist und wie ressourcenintensiv ihre Herstellung ist. Denn gegenwärtig ist auch die Klimabilanz der Batterieherstellung noch alles andere als umweltfreundlich.

Angriff von außen

Auf eine andere Gefahr im Zusammenhang mit autonomen Systemen wies jüngst wieder jemand hin, der es wissen muss: Elon Musk, Hightech-Visionär, Internet-Milliardär und Gründer des Elektroautoherstellers Tesla. Bei einem Treffen mit US-Gouverneuren Anfang Juli 2017 warnte er, dass Hackerangriffe auf vernetzte und selbstfahrende Fahrzeuge eine enorme Gefahr für Insassen und Umwelt darstellen können. Und er betonte, wie ernst der Schutz dieser Systeme gegen unerlaubten Zugriff von außen genommen werden muss.

Aus der Traum?

Die Frage lautet also nicht nur, wann wir autonom fahren. Sie lautet auch, ob und wie es uns gelingt, für all die anderen mit ihr verbundenen Fragen, die für unsere Zukunft entscheidend sind, überzeugende Antworten zu finden. Bis dahin werden wir noch so manche Verkehrssituation auf unsere Art zu meistern haben: mit Intuition, Rücksicht und Gelassenheit.


Illustration: chombosan/PEAK.B

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