IAA-Nachlese
Taschenkontrolle vor dem Eingang des Frankfurter Messezentrums, die Gesichter um mich herum blicken mürrisch drein. Dann Halle 1. Mercedes, Smart und AMG. Die Gesichter hellen auf. Draußen Freigelände, Infostände, Vorführung des technisch Machbaren. Gesichter glühen. Offensichtlich sind nur noch große Buben unterwegs.
Showtime
Die Aussteller lassen sich nicht lumpen. VW Finance verteilt Turnbeutel mit Trockensnack und Mineralwasser. Skoda spendiert mir eine Sonnenbrille. Sechs Weltpremieren bei BMW und überall die Topmodelle optimal ausgeleuchtet, oft auf Drehtellern. Die Hallenböden auf Hochglanz poliert, die Autos sowieso, jede Menge dienstbare Geister, die die Tapsen der Besucherhände von Karosserien wienern. Dazu erwartungsfrohes Schwirren in der Luft, durchsetzt mit Musik, Bratwurst- und Crepesduft. Und überall Smartphones im Selfiemodus. Es gibt wieder eine Borgward Isabella. Doch die hat, bis auf den Enkel im Management, nichts, aber auch gar nichts mit dem seligen Bremer Autoerzeuger zu tun.
Großspurige Versprechungen
Zu sehen gibt es viele Autos, die keiner braucht. Zu groß, zu komplex, zu viel Bling-Bling. SUVs, Pick-Ups, 700 Newtonmeter-Drehmoment. Schneller - höher - weiter! Plug-In-Hybride werden bei der VW-Vorführung auf dem Freigelände als das Beste aus 2 Welten angepriesen, Serienfertigung schon 2021 zu erwarten.
Mercedes verspricht eine S-Klasse in Hybridtechnologie mit einem Verbrauch von 2,9 Liter pro 100 km und 49 g CO2 pro km. Aber die Lösung für die Stickoxidbelastung im Stuttgart von heute oder wo auch immer fand ich hier wie da nicht. Enttäuschend: Gas- und Wasserstoffantrieb oder Brennstoffzellentechnik, die Alternativen im konventionellen Bereich, wurden erst gar nicht mit zur Ausstellung gebracht.
Stiefkind Elektroauto
Ja, es gibt auch reine Elektroautos, auch bei VW, dort der e-up. Sofort verfügbar, mit realistischen 120 bis maximal 160 Kilometern Reichweite. Der Elektrofloh kann an der 230V-Steckdose in 9 Stunden vollgeladen werden und soll € 30.000 kosten. Das Problem der reinen E-Autos ist nach wie vor die Reichweite und die fehlende Lade-Infrastruktur.
Beim gegenwärtigen Stand sind sie höchstens als Zweitwagen auf Kurzstrecke für Einzelgaragenbesitzer interessant. Wäre nicht der hohe Anschaffungspreis, den die € 4000,- E-Autoprämie nur geringfügig mildert, E-Autos könnten heute immerhin schon mindestens 50% der täglichen Mobilität abdecken, in den stickoxidgeplagten Städten sogar fast 100%.
Nadelöhr: Lade-Infrastruktur
Nichtsdestotrotz, es wird weiter unverdrossen geforscht, optimiert, kooperiert und vor allem konkurriert. Die deutsche Autoindustrie scheint einfach nicht begreifen zu wollen, dass der deutsche Autokäufer erst dann zum Kauf bereit ist, wenn es einen klaren Fahrplan zur Errichtung einer akzeptablen Lade-Infrastruktur gibt. Bis dahin wird viel Energie in Optimierung der konventionellen Technik gesteckt. So werden in Zukunft Servopumpe, Klimakompressor und Lichtmaschine nur dann angetrieben, wenn sie auch wirklich benötigt werden. Wann das ist, entscheidet eine intelligente Elektronik.
Ehrgeizige Assistenzsysteme
Überhaupt Elektronik: Das zweite, spannende Entwicklungsfeld ist das autonome Fahren. Auch hier wurde stolz und mit hohem Aufwand präsentiert, was Autos heute schon eigenständig leisten können: Radfahrer- und Fußgängererkennung, Staupilot, rückwärts automatisch einparken – auch mit Anhänger. All das ist in der Präsentation schon beeindruckend. Und es gibt bestimmt Optimisten, die sind voll des Glaubens, dass die vielen kleinen Assistenten auch dann noch funktionieren, wenn sie sich den Verkehrsraum mit aberhunderten von Kollegen teilen müssen.
Fazit
Die Branche hat sich gefeiert, ihre Schwächen gut überspielt, aber eben keine überzeugenden Lösungen in Aussicht gestellt. Worum es ging? Um des deutschen liebstes Kind. Wer hat's erfunden? Gegenfrage: Wer hat's verpennt?
Fotos: IAA; M. Aschermann