Umgang mit Fahrradfallen
Mit 3.265 Toten weist die bundesdeutsche Unfallbilanz für 2018 den drittniedrigsten Stand seit 1950 auf. Aus den bisher vorliegenden Zahlen geht hervor, dass im Zeitraum Januar bis November 2018 weniger Fußgänger tödlich verunglückten als im Vorjahr (-25 Getötete bzw. -6,1%). Dennoch besteht wenig Anlass zur Freude. Denn im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Verkehrstoten laut Statistischem Bundesamt um 2,7%. Diese Entwicklung beruht vor allem auf der Zunahme getöteter Fahrradfahrer (+50 bzw. +13,6%) und Motorradfahrer (+57 bzw. +9%). Befürworter einer Helmpflicht für Radfahrer dürften sich in Ihrer Forderung bestätigt sehen. Aber wäre dies wirklich die Lösung aller Probleme?
Die Deutsche Verkehrswacht (DVW) findet diese Zahlen ebenfalls alarmierend und fordert, die Bemühungen für mehr Sicherheit von Radfahrern und Fußgängern zu erhöhen. „Die vielen getöteten Radfahrer zeigen, dass hier dringend mehr passieren muss“, erklärte DVW-Präsident Kurt Bodewig. „Wir brauchen gute Angebote für Pedelec-Nutzer, ältere Radfahrer und bei Infrastruktur sowie Abbiege- und Notbremsassistenten“, fügte er hinzu. Vor allem müssten sich Verkehrsteilnehmer aber „der Verantwortung für sich selbst und für andere bewusst sein und danach handeln“.
Vision Zero – ein Ziel für alle Verkehrsteilnehmer
„Vision Zero“, das Verkehrssicherheitskonzept des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR), hat sich als langfristiges Ziel gesetzt, dass kein Mensch mehr im Straßenverkehr verletzt oder getötet werden soll. Vision Zero verfolgt einen gefährdungsorientierten Ansatz. Da zu hohe Geschwindigkeit eine der Hauptunfallursachen im motorisierten Straßenverkehr ist, kommt der Geschwindigkeitsüberwachung dabei eine besondere Rolle zu. (Siehe hierzu auch den Bericht in der BAVC info 1-2019).
In Bezug auf Fahrrad- und Pedelecverkehr dürfte jedoch ein anderes Feld eine wichtige Rolle spielen: die Verbesserung der Infrastruktur.Optimale Voraussetzungen schaffen
Wenn Menschen dazu zu bewegt werden sollen, der Umwelt und der Gesundheit zuliebe das Auto öfter gegen das Fahrrad zu tauschen, dann muss auch die Infrastruktur stimmen. Hierzulande ist das vielerorts leider nicht der Fall. In Berlin, wo an Radwilligen wahrlich kein Mangel herrscht, machten im Sommer 2018 Fotos von einem kuriosen Radweg im Web Furore: Ein Zickzack-Weg, der stur die Aussparungen der Bauminseln flankierend ohne Sinn und Verstand auf den Gehweg gepinselt war. (Der unerwartete Ruhm scheint die Stadtverwaltung bewogen zu haben, ihn zu überarbeiten. Inzwischen ist er spurlos verschwunden.)
Radfahrersicherheit – auch für Medien ein Thema
Jeder, der mit seinem Fahrrad regelmäßig unterwegs ist, kennt Stellen und Strecken, die für Radfahrer und Fußgänger unzumutbar, wenn nicht gar gefährlich sind. Und wer sich ein wenig im Netz umschaut, stellt fest, dass auch Zeitungen und Radiosender das Thema für sich entdeckt haben.
Im September 2018 widmete sich die FAZ den Frankfurter Fahrradfallen: „Wo es jeden Tag eng wird für Radfahrer.“ Die Süddeutsche sorgte sich bereits 2013 um die Sicherheit der Münchner Radler und prangerte die schlimmsten Fahrradfallen an. Radio Bremen widmete den diesbezüglichen örtlichen Gegebenheiten im Februar 2019 einen Beitrag.
Spätestens, wenn überregionale Medien ein Thema aufgreifen, ist es in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Das Recht ernstgenommen zu werden hatte die Radfahrersicherheit hingegen schon immer. Nicht erst durch die gestiegene Zahl der Todesopfer.
Initiieren statt denunzieren
Es den Medien zu überlassen, Missstände schlaglichtartig zu würdigen und dann abzuwarten, dass etwas geschieht, kann funktionieren. Doch darauf wollten sich die Tübinger Andreas Golding und Wolfgang Scharnke offensichtlich nicht verlassen. So haben der Unternehmer und der Arzt eine Website ins Netz gestellt: Tübinger Fahrradfallen.
Dort können Fahrradfallen in und um Tübingen gemeldet und Vorschläge zu deren Behebung darlegt werden. Sämtliche bis zu einem Stichtag per E-Mail übermittelten Beiträge werden auf der Website veröffentlicht. Anonyme Zusendungen werden ignoriert und die besten Einsendungen prämiert. Denn auch im idyllischen Tübingen - von einem bundesweit bekannten Grünen-Bürgermeister regiert - ist beim Thema Sicherer Radverkehr noch viel Luft nach oben.
Der Charme dieses Ansatzes: Es handelt sich nicht um eine Einladung, andere anonym anzuschwärzen, Frust abzuladen oder Dampf abzulassen. Wer mitteilen möchte, wo etwas wie besser gemacht werden kann, findet hier einen Anlaufpunkt, um seine Erfahrungen und Ideen für ein Anliegen von allgemeinem Interesse einzubringen.
Fahrradstadt Kopenhagen
Auch in Kopenhagen, inzwischen der Inbegriff einer fahrradfreundlichen Stadt, war nicht immer alles so wie heute. Aber der Weg dahin wurde und wird miteinander gegangen, nicht gegeneinander. Denn auch die beste Infrastruktur lebt davon, dass ihre Nutzer sich an Regeln halten. Rotlichtsünder gibt es nicht nur unter den Autofahrern. Da hilft auch keine Helmpflicht.
Foto: elenaestelles