Autobahnbaustellen

Rund 13.000 Kilometer Autobahn und 40.000 Kilometer Bundesstraße stehen in Deutschland zur Verfügung – eines der dichtesten Fernstraßennetze Europas. Dicht – diesen Eindruck teilen auch alle, die dieses Netz regelmäßig nutzen. 2018 gab es 866 Autobahnbaustellen in Deutschland, wie eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion ergab. Sie waren im Schnitt gut 3 Kilometer lang und behinderten jeweils 253 Tage den Verkehrsfluss. Änderung in Sicht? Wohl eher nein.

Kritiker werfen dem Bundesverkehrsministerium Fehlplanung vor: Modernisierungsstau, mangelnde Koordination, zu lange Bauphasen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) hingegen verweist auf ihrer Website darauf, dass einerseits steigender LKW-Verkehr und seine hohen Achslasten das Bundesfernstraßennetz stark beanspruche und andererseits nur begrenzte Investitionsmittel zur Verfügung stünden, um die Straßen für aktuelle aber auch künftige Anforderungen fit zu machen. Neben dem Klimawandel, der den Asphalt im Sommer teilweise schon heute zum Schmelzen bringt, kommen da z.B. auch die tonnenschweren batteriegespeisten Elektroautos ins Spiel.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen sie bereits in wenigen Jahren und in millionenfacher Zahl die Verbrenner ablösen. In der Fahrbahnbelastung dürfte dieser Wandel ebenfalls seine Spuren hinterlassen. So sind also auch neuartige Baustoffe und -verfahren gefragt, die diesen Erfordernissen Rechnung tragen. Dass die Erhaltung und Modernisierung dringend erforderlich sind, bezweifelt niemand. Aber ein paar Fragen bleiben dennoch.

Geisterbaustellen

Dass Baustellen teilweise wie ausgestorben wirken, kann verschiedene Ursachen haben und muss nicht zwangsläufig Ergebnis von Fehlplanung sein.

Faktor Baumaterialien:
Asphalt wird bei einer Temperatur von 260 Grad Celsius verarbeitet und braucht mehr als einen Tag zum Abkühlen. Andere Materialien benötigen ebenfalls Zeit zum Abbinden. So muss Gussbeton z.B. 28 Tage ruhen, bevor die Arbeiten weitergehen können.

Faktor Streckenbeschaffenheit:
Eine Baustelle lässt sich nicht an jeder beliebigen Stelle einrichten. Denn der Mittelstreifen, der überquert werden muss, um den Verkehr auf die andere Fahrbahn umzuleiten, ist nicht durchgängig dazu geeignet. So kann es je nach Lage der für den Seitenwechsel geeigneten Stelle erforderlich sein, den Verkehr bis zu zwei Kilometer vor oder nach dem eigentlichen Baustellenabschnitt auf die Ausweichfahrbahn zu führen. Dadurch entsteht der Eindruck, man würde unnötig parallel zu einem völlig intakten Streckenabschnitt fahren.

Dauerbaustellen

Bei manchen Baustellen stellt sich die Frage, weshalb dort nicht auch an den Wochenenden oder im Schichtbetrieb rund um die Uhr gearbeitet wird. Ein gängiges Argument ist, dass Nacht- und Wochenendzuschläge die Baukosten in die Höhe treiben.

Wie sich in Simulationen jedoch gezeigt hat, ist der volkwirtschaftliche Schaden durch längere Fahrzeiten auf stark genutzten Strecken deutlich höher als die Mehrkosten durch Nacht- und Wochenendarbeit. Infolgedessen wird an größeren Autobahnbaustellen inzwischen auch rund um die Uhr gearbeitet. Auf Autobahnen im dichtbesiedelten Nordrhein-Westfalen finden fast die Hälfte aller kürzeren Bauarbeiten nachts oder am Wochenende statt.

Doch nicht immer und überall lässt sich alles per Nacht- und Wochenendarbeit erledigen. Schutz der Anwohner vor nächtlichem Baustellenlärm oder Vermeidung von zusätzlicher Staugefahr durch Baustellenlieferverkehr etwa zur Hauptreisezeit sind Faktoren, die ebenfalls eine Rolle spielen. So müssen z. B. für die Erneuerung von einem Kilometer Autobahn bis zu 200.000 Tonnen Sand, Kies und Asphalt transportiert werden. Das entspricht mehr als 10.000 Lkw-Fahrten. Darüber hinaus fehlt es manchmal auch schlicht an Arbeitskräften.

Kapazitätsprobleme

Wie nahezu überall im öffentlichen Dienst führt Personalmangel zu Kapazitätsproblemen. So stehen die Planungsbehörden vor der Aufgabe, mit immer weniger Mitarbeitern immer mehr Projekte realisieren zu müssen. Wenn Mitarbeiter in großer Zahl die Altersgrenze erreichen und in den Ruhestand wechseln und junge Fachkräfte die Industrie dem Öffentlichen Dienst vorziehen, führt das zu Engpässen, die es mitunter auch beim Baumaterial gibt. Die Folge: Alles dauert entsprechend länger.

Stau am Bau

Schneller aushärtende Materialien, eine effizientere digitale Logistikplanung. Es gibt durch aus ein paar Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um die Bauphasen zu beschleunigen. Problem dabei: Auf der Baustelle läuft vieles nach wie vor auf altbewährte Weise – mündlich und per Bleistift und Papier.

Doch wenn der Informationsfluss zwischen den Projektbeteiligten nicht durchgängig ist, können sich schon kleine Störungen zu großen Hindernissen aufschaukeln. Das kann sich dann negativ auf Fertigstellungstermin und -qualität auswirken. Gerät z.B. die Asphaltanlieferung ins Stocken, behindern die wartenden Lkw nicht nur den Verkehrsfluss. Auch der abgekühlte Asphalt lässt sich nicht mehr optimal verarbeiten, was die Lebensdauer der Fahrbahndecke beeinträchtigt. So ist in Baden-Württemberg bei Straßenbauprojekten die elektronische Vernetzung entlang der Asphaltlieferkette bereits Pflicht.

Baustelleninformation

Jeder kennt sie inzwischen: Smiley-Schilder. Die Strichpunktgesichter, die von traurig bis grinsend entlang der Baustellenstrecke postiert sind. Sie sollen über die Länge hinwegtrösten. Auf Strecken, für die jegliche Form der Ablenkung zu riskant wäre, sucht man sie indes vergeblich.

Von akuten Fällen abgesehen, wird im Internet mit mindestens 14 Tagen Vorlauf über Autobahnbaustellen informiert. Auf der Website der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) lassen sich sämtliche Baustellen bundesland- und autobahnbezogen recherchieren.

Navigationsgeräte und -Apps berücksichtigen bei der Routen- und Fahrzeitberechnung inzwischen ebenfalls Baustelleninformationen. Bisher haben auch Radio und Zeitung zuverlässig zu Baustellen informiert. Doch mit Blick auf die Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit webbasierter Angebote hat z.B. der Deutschlandfunk zum 01.02.2020 seine Verkehrsmeldungen eingestellt. So findet der Stau am Gambacher Kreuz nicht mehr im Radio statt, sondern lässt sich idealerweise routenoptimiert per Navi oder Smartphone-App umfahren.

Wer die aus dem Radio vertrauten Namen von Autobahnausfahrten und Anschlussstellen noch einmal hören möchte: Deutschlandfunk-Chefsprecher Gerd Daaßen hat sie hier noch einmal ein eingesprochen.

Spurbreite versus Fahrstreifenanzahl

„Im Bereich von Arbeitsstellen ist grundsätzlich die vorhandene Anzahl der Fahrstreifen zu erhalten. In Ausnahmefällen kann von dieser Regelung abgewichen werden, wenn kein Stau zu erwarten ist.“ (Leitfaden zum Arbeitsstellenmanagement auf Bundesautobahnen, Version Mai 2011; Bundesministerium Verkehr, Bau und Stadtentwicklung)

So weit die Theorie. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass eine linke Spur, die nur noch 2,5 Meter breit ist, auch für moderne Kleinwagen schon recht eng ist, rechnet man noch die jeweils 25 cm Sicherheitsabstand rechts und links hinzu. Um Rempler zu vermeiden, sind Nutzer der linken Spur gut beraten, versetzt zu den Fahrzeugen der rechten Spur zu fahren. Entsprechende Schilder weisen darauf hin. Geht das schief, ist auch hier Stau unweigerlich die Folge.

Wenn vor einer Baustelle die Spurführung von drei Spuren auf zwei oder gar eine verengt wird, wirkt sich das direkt auf die Fließgeschwindigkeit des Verkehrs aus. Aber unter Umständen fließt der Verkehr auf zwei breiteren Spuren entspannter als auf drei schmalen.

Faktor Fahrer

Um es mit dem Kabarettisten Gerhard Polt zu sagen: „Das Problem san die Menschen.“ Unangepasste Geschwindigkeit, falsches Timing beim Reißverschlussverfahren, zu starkes Abbremsen, zu dichtes Auffahren oder zu großer Abstand – gerade bei engen Baustellenabschnitten können diese Verhaltensweisen zu Stau führen. Wer das Geschehen auf der Baustelle interessierter verfolgt als das vor ihm auf der Fahrbahn, stellt ebenfalls eine Staugefahr dar. Nicht jedes Fahrzeug ist bereits mit einem Stauassistenten ausgestattet, das Auffahrunfälle in solchen Situationen zu vermeiden hilft.

Ausblick

Laut Bundesverkehrsministerium sind gut ein Drittel der Bundesstraßen und mehr als 15 Prozent der Autobahnen in schlechtem Zustand. Die von ihr beauftragte Expertenkommission kam zu dem Schluss, dass neben den laufenden Kosten für Erhalt und Betrieb noch bis Ende der 2020er-Jahre rund 2,7 Milliarden Euro an Zusatzinvestitionen in die Straßen nötig sind. Und zwar pro Jahr. Ob da die Kosten für das Mautdesaster schon eingerechnet sind?

 

 

 


Foto: hykoe

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