Fahren Frauen anders als Männer?

Rollenklischees, Mythen, Vorurteile, Fakten – auf dem Weg zu einer aufgeklärteren und gerechteren Gesellschaft steht auch das Verhältnis der Geschlechter im Fokus. Welche Un-terschiede gibt es und warum? Die Debatten dazu finden auf vielen Kanälen statt, nicht zuletzt in den sozialen Medien – häufig hoch emotional geführt.

Der Blick in den Rückspiegel

Von ein paar Ausnahmen abgesehen fuhren Frauen zunächst einmal überhaupt nicht. Autos waren anfangs ein reines Männerding und Frauen höchstens als Beifahrer geduldet. In den Anfangsjahren des Automobils gab es sogar unter Medizinern Bedenkenträger. Sie fürchteten, die Vibrationen der motorbetriebenen Karossen könnten bei Frauen ungewollte Zustände der Erregung auslösen. Hysterie und deren Therapie waren in der wilhelminischen Ära ohnehin ein großes Thema. Aber das ist eine andere Geschichte.

Dennoch gab es auch schon damals Frauen, die sich keine Vorschriften machen ließen und sich ans Steuer setzten. Ingenieursgattin Bertha Benz zum Beispiel. Ihre Spritztour ging in die Geschichte ein. Im Jahr 1888 fuhr sie, nur begleitet von ihren beiden noch minderjährigen Söhnen, mit dem Benz-Patent-Motorwagen Nummer 3 von Mannheim nach Pforzheim und zurück. Angeblich hatte sie ihren Mann, Carl Benz, über das Vorhaben vorab nicht ins Bild gesetzt. Denkbar, dass er ihr diese Eigenmächtigkeit schnell verzieh. Schließlich hatte sie den bis dahin schleppend laufenden Verkauf des Motorwagens beträchtlich angekurbelt.

Automobilgeschichte geschrieben hat auch Herzogin Anne d’Uzés, die als erster Mensch überhaupt eine Führerscheinprüfung ablegte. Schon allein darin unterschied sie sich von vielen ihrer männlichen Kollegen. Denn die verzichteten, vermutlich nicht zuletzt aufgrund des unerschütterlichen Vertrauens in ihre fahrerischen Fähigkeiten, häufig auf eine Fahrprüfung.

Madame d’Uzés war Frauenrechtlerin, lebte in Paris und stand zudem als Präsidentin einem Damen-Automobilclub vor. Letzteren hatte sie kurzerhand gegründet, nachdem man ihr als Frau die Mitgliedschaft im Automobilclub de France verwehrte. Dass sie einer Champagner-Dynastie entstammte, illustriert noch ein anderes Faktum: Automobile waren zu jener Zeit für Normalverbraucher einfach unerschwinglich. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Herzogin auch die Erste war, die einen Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens kassierte. Im Bois de Boulogne wurde sie mit 15 statt der erlaubten 12 km/h erwischt.

Herzogin Anne d’Uzés, Frauenrechtlerin, Automobilclub-Präsidentin und der erste Mensch überhaupt, der eine Führerscheinprüfung abgelegt hat. Fotonachweis: Agence de presse Meurisse, Public domain, Wikimedia Commons

Eine weitere berühmte Vertreterin am Steuer war z.B. auch Clärenore Stinnes. Mit nur 45 PS unter der Haube fuhr sie in ihrem Adler Standard von 1927 bis 1929 einmal um die Welt. Sie nahm an etlichen Autorennen als einzige Frau teil und ging häufig als Siegerin hervor.

Auch im Deutschland der Wirtschaftswunderjahre ist der Platz hinter dem Steuer weitgehend noch „Chefsache“. So blieb es weiterhin eine Sensation, wenn eine Frau wie Heidi Hetzer als Unternehmerin und Rallyefahrerin Erfolge feierte. Die gelernte Kfz-Mechanikerin nahm seit 1953 an Rallyes teil, gerne mit historischen Fahrzeugen aus ihrer Sammlung, und gewann über 150 Preise. Beruflich war sie ebenfalls auf der Überholspur.

1969 übernahm sie nach dem Tod ihres Vaters den familieneigenen Fahrzeughandelsbetrieb und baute ihn zu einem der größten Autohäuser Berlins aus. Diese und viele andere Beispiele zeigen: Frauen haben es genauso drauf.

Sich heutzutage über Frauenfahrverbote in der arabischen Welt zu mokieren, ist einfach. Doch auch hierzulande sind Vorbehalte gegenüber Frauen am Steuer noch vergleichsweise jung. Eine Sendung des Verkehrssicherheits-TV-Klassikers „Der 7. Sinn“ aus den 1970er-Jahren spricht Bände. Video auf YouTube anschauen (externer Link)

Vorurteile und Klischees sind hartnäckig. Will man jedoch etwas über die tatsächliche fahrerische Bilanz beider Geschlechter erfahren, lohnt ein Blick in die Unfallstatistik.

Der Blick auf die Straße

Betrachtet man verschiedene Verkehrsunfallstatistiken aus den 2010er-Jahren nach Geschlecht, so zeigen sich im Fahrverhalten von Männern und Frauen bestimmte Muster. Die Haupterkenntnisse aus den vom Statistischen Bundesamt ermittelten Zahlen für die Jahre 2014, 2016 und 2019 lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Frauen haben ein geringeres Unfallrisiko als Männer: Obwohl 51 Prozent der Bevölkerung in Deutschland Frauen sind, dominieren bei den im Straßenverkehr Verunglückten die Männer.
  • Männer tragen häufiger die Hauptschuld an Unfällen als Frauen.
  • Männer verursachen schwerere Unfälle und verunglücken deutlich häufiger tödlich.
  • Beim Fehlverhalten, das zu Unfällen mit Personenschaden führt, steht bei beiden Geschlechtern „Abbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Anfahren“ an erster Stelle.
  • Unterschiede zeigen sich beim zweithäufigsten Fehlverhalten: „Nichtbeachtung der Vorfahrt bzw. des Vorrangs“ ist im prozentualen Vergleich eher bei Frauen als bei Männern zu finden.
  • Zu geringer Abstand, nicht angepasste Geschwindigkeit sowie Alkoholeinfluss wird hingegen häufiger den Männern vorgeworfen.
  • Insbesondere das Fahren unter Alkoholeinfluss ist von der Häufigkeit her ein Männerdelikt.
  • Männer sind in der Regel mit leistungsstärkeren Fahrzeugen in Unfälle verwickelt als Frauen.

Im Rahmen der Kampagne „Runter vom Gas“ aus dem Jahr 2018 kommt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) zu folgendem Schluss: „Frauen fahren sicherer. Viele Daten – von der Unfallverursachung über die Schwere der Unfallfolgen bis hin zu Alkoholeinfluss am Steuer – belegen, dass Frauen statistisch gesehen sicherer unterwegs sind als Männer.“ Ergänzend dazu zitiert der DVR noch den Sprecher des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) Stephan Immen: „76 Prozent der in Flensburg registrierten Verkehrssünder sind Männer, 24 Prozent Frauen.“

Im Fahrverhalten von Männern und Frauen gibt es also durchaus Unterschiede. Aber könnten dabei auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen?

Der Schulterblick

Der Mobilitätsbericht des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (Ausgabe 2019) ist in dieser Hinsicht recht aufschlussreich. Er zeigt auch im Mobilitätsverhalten Geschlechterdifferenzen: Männer legen längere Strecken zurück und nutzen dafür eher das Auto. Frauen haben viele kürzere Wegeziele, die sie miteinander zu verbinden suchen.

Dieses Muster offenbart die noch immer bestehende klassische Rollenverteilung: Die Männer pendeln zur Arbeit. Die Frauen kümmern sich um Haushalt und Familie und nutzen dabei auch tendenziell mehr den öffentlichen Nahverkehr, Fahrrad oder sie gehen zu Fuß.

Es ist also davon auszugehen, dass das Mobilitätsverhalten auch Auswirkungen auf das Fahrverhalten und das Unfallrisiko hat. Wer viel auf langen Strecken und mit hohen Geschwindigkeiten unterwegs ist, hat also auch ein höheres Risiko, dabei schwere Unfälle zu verursachen, bzw. in Unfälle verwickelt zu sein und zu Schaden zu kommen.

Hier bleibt also abzuwarten, ob ein Wandel in der Rollenverteilung und damit auch im geschlechtsspezifischen Mobilitätsverhalten eine Angleichung in der Unfallstatistik mit sich bringt. Die spannende Frage wäre, ob sich Frauen und Männer unter identischen Bedingungen gleich verhielten.

Der Blick auf den Horizont

Es steht zu vermuten, dass gewisse Verhaltensweisen männlich und weiblich konnotiert sind und bleiben. Doch der Wandel der Mobilität könnte helfen, ihr Risikopotenzial für unseren mobilen Alltag zu senken, indem auch das, womit wir fahren, sich wandelt.

Laut einer Statista-Umfrage glaubt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht, dass das Geschlecht über die Fahrqualitäten entscheidet. So sind knapp 66 Prozent der Männer und knapp 72 Prozent der Frauen überzeugt: Weder Männer noch Frauen fahren besser. Eine Mobilitätswende, die die Mobilitätsbedürfnisse und Verhaltensweisen aller Verkehrsteilnehmer berücksichtigt, könnte dazu beitragen, dass diese Einschätzung dereinst den Fakten standhält.

 

 

 


Illustration: HM Design/PEAK.B

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