Verkehrslärm und E-Mobilität

Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung fühlt sich durch Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage zum Umweltbewusstsein in Deutschland aus dem Jahr 2018 hervor, die das Umweltbundesamt jährlich durchführt. Keine Überraschung. Denn der Straßenverkehr ist seit langem die dominierende Lärmquelle in Deutschland. Eine generelle Regelung zum Schutz vor Straßenverkehrslärm gibt es hierzulande nicht. Nur bei Neubau oder wesentlicher Änderung einer Straße sind zum Lärmschutz Grenzwerte festgelegt. Können Elektroautos dazu beitragen, den Lärm zu reduzieren? Und falls ja: birgt dies nur Vorteile oder auch Risiken?

Ursachen von Straßenverkehrslärm

Verkehrsstärke und Fahrzeuge sind die wesentlichen Lärmquellen. Auch Fahrverhalten, das sich in hoher Geschwindigkeit und Motordrehzahl äußert, spielt eine Rolle. Weitere Faktoren sind die Kombination von Reifen und Fahrbahn sowie die geometrischen Verhältnisse der Straßen- bzw. Trassenführung, die die Schallausbreitung verstärken oder dämpfen.

Kraftfahrzeuge tragen vor allem durch Antriebsgeräusche (Motor, Ansaug-, Abgastrakt, Getriebe) sowie durch das Reifen-Fahrbahn-Geräusch zur Lärmkulisse bei. Während die Antriebsgeräusche stark von der Motordrehzahl abhängig sind, stehen und fallen die Reifen-Fahrbahn-Geräusche mit der Geschwindigkeit und der Beschaffenheit von Reifen und Fahrbahn. Stichwort Flüsterasphalt.

Neben dem Fahrzeugtempo beeinflussen die Fahrzeugbereifung – u.a. Materialhärte und Profil – sowie Art und Zustand der Fahrbahn die Geräuschemission. Bei marktüblichen Reifen kann der Grad der Lärmemission um drei bis vier Dezibel variieren.

Kleiner Exkurs zu Dezibel

Dezibel (dB) ist die Einheit, mit der die Lautstärke eines Geräusches angegeben wird. Je mehr Dezibel etwas aufweist, desto lauter wird es empfunden. Bezogen auf die Lautstärkeempfindung ist das Dezibel jedoch keine gleichmäßige Einheit wie etwa Kilogramm oder Meter. In Dezibel gemessene Lautstärke steigt von Wert zu Wert immer schneller an.

Eine Erhöhung um 10 dB bedeutet dabei eine Verdopplung der Lautstärke. So entsprechen 50 dB in etwa dem Geräusch eines Kühlschranks, wahrgenommen aus 1 m Entfernung. Bei 60 dB rangiert die empfundene Lautstärke eines lärmenden Rasenmähers in 10 m Entfernung. Geräusche bis zu 20 dB – z.B. Waldesrauschen oder Flüstern – sind hingegen noch sehr leise und vom menschlichen Ohr kaum wahrnehmbar.

Ab 80 dB wird es laut. Ab 85 dB (z.B. der Lärm einer Hauptverkehrsstraße) kann das menschliche Gehör irreparabel Schaden nehmen. Und ab 95 dB (z.B. Holzfräsmaschine) wird der Lärm dann unerträglich.

Vor diesem Hintergrund wirken die drei bis vier dB Unterschied bei den Reifengeräuschen nun doch nicht so unerheblich. So wurden 2001 in der EU erstmals Grenzwerte für das Rollgeräusch von Reifen eingeführt. 2009 wurde diese Grenzwerte verschärft. Seit 1. November 2012 muss neben Kraftstoffverbrauch und Nasshaftung auch die Geräuschklassifizierung des Reifens auf dem Reifenlabel angegeben sein.

Noch deutlich größeren Einfluss auf die Schallemissionen hat der Fahrbahnbelag. Ein grobes Kopfsteinpflaster erzeugt um sechs bis zehn dB höhere Schallpegel als ein glatter Gussasphaltbelag. Ein moderner geräuschmindernder Straßenbelag (Flüsterasphalt) kann dagegen um bis zu acht dB leiser als der Referenzbelag sein.

Strategien gegen Lärm

In der Umweltpolitik gilt allgemein: Vermeiden vor Vermindern vor Ausgleichen. So lautet die erste Frage also immer, ob und wie sich eine Lärmquelle vermeiden oder beseitigen lässt (zum Beispiel, indem ein Weg zu Fuß statt mit dem Auto zurückgelegt wird). Besteht diese Option nicht, sind bei unvermeidbaren Lärmquellen die Auswirkungen im Rahmen des Möglichen zu mindern. Hier kommen dann Maßnahmen an den Fahrzeugen (z.B. Motorkapselung) oder der Straße (z.B. Bau einer Lärmschutzwand) in Betracht. Sollten diese noch immer nicht ausreichen, können zusätzlich noch Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden: Einbau von Lärmschutzfenstern, Entschädigungszahlungen o.ä.

Für dieses gestaffelte Vorgehen spricht, dass das Vermeiden in der Regel am kostengünstigsten ist, die wenigsten Nebenwirkungen hat und die meisten Synergien erzeugt: Das Vermeiden von vermeidbarem Verkehr führt zu weniger Unfällen, weniger Lärm, weniger Abgasen, weniger Flächenverbrauch usw.

Das Mindern ist im Vergleich dazu weniger effektiv: Um eine Wirkung zu erzielen, müssen höhere Kosten und stärkere negative Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Bleiben noch die Ausgleichsmaßnahmen, die eigentlich immer nur ein Notbehelf sind.

Autos, die zu leise sind – ein Luxusproblem?

Bei Pkw mit Verbrennungsmotor ist bei konstanter Geschwindigkeit – je nach Fahrbahnoberfläche und Drehzahl – das Reifen-Fahrbahn-Geräusch ab etwa 30 km/h dominant, bei Lastkraftwagen ab etwa 60 km/h. Elektroautos sind aufgrund ihres flüsterleisen Elektroantriebs bei Geschwindigkeiten unter 30 km/h sehr leise. Das erweist sich innerorts als Sicherheitsrisiko für andere – insbesondere nicht motorisierte – Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer. Ist deren Hörvermögen eingeschränkt, sind sie zusätzlich gefährdet.

Aus diesem Grund müssen seit 1. Juli 2019 in der Europäischen Union alle neuen Typen von Elektro- und Hybridfahrzeugen mit einem sogenannten AVAS – Acoustic Vehicle Alerting System (akustisches Fahrzeugwarnsystem) – ausgestattet sein. Dieses System sorgt dafür, dass das Fahrzeug zwischen dem Anfahren und dem Erreichen einer Geschwindigkeit von 20 km/h sowie auch beim Rückwärtsfahren ein Geräusch erzeugt. Läuft bei einem Hybridfahrzeug der Verbrennungsmotor, verstummt das AVAS automatisch. Fahrzeuge, die beim Rückwärtsfahren ohnehin einen Warnton von sich geben, wie z.B. Lkw oder Transporter, müssen ebenfalls kein künstliches Geräusch produzieren.

Das AVAS-Fahrgeräusch ist auf den Geschwindigkeitsbereich bis 20 km/h begrenzt. Denn, wie bereits erläutert, ist bei höheren Geschwindigkeiten das Abrollgeräusch der Reifen ohnehin lauter als das Motorengeräusch.

Trügerische Stille

Auf den ersten Blick mag es unverständlich erscheinen, dass in einer von Verkehrslärm geprägten Umwelt leise Autos künstlich lauter gemacht werden. Doch es hat sich gezeigt, dass Kraftfahrzeuge, die von Hause aus zu leise sind, ebenfalls ein nicht unerhebliches Gesundheitsrisiko darstellen. Und zwar nicht nur für Menschen mit eingeschränktem Hörvermögen.

Wir alle neigen dazu, mehr als uns bewusst ist, uns im Straßenverkehr auf unsere akustische Wahrnehmung zu verlassen. Wie oft treten wir als Fußgänger auf die Straße, ohne vorher nach links und nach rechts geschaut zu haben. Ganz einfach, weil wir uns auf unser Gehör verlassen. Schließlich würde es uns ein sich näherndes Fahrzeug ankündigen. Denn unsere Ohren sind, anders als unsere Augen, von Natur aus niemals offline. Auch nicht im Schlaf.

Hinzu kommt, dass die Verwendung von Kopfhörern im öffentlichen Verkehr immer populärer zu werden scheint. Schließlich stellen sie eine gute Möglichkeit dar, in Bus, Bahn oder Flugzeug ein Minimum an Privatsphäre zu pflegen. Sind diese Im-Ohr- oder Über-dem-Ohr-Kopfhörer zusätzlich mit Geräuschunterdrückungsfunktion (Active Noise Cancelling) ausgestattet, gelingt dieser Rückzug ins Private noch besser. Störende Nebengeräusche werden erstaunlich gut weggefiltert.

Auch unterwegs zu Fuß oder per Rad ist der Effekt verblüffend. Wie in Watte gepackt zieht der Straßenverkehr an uns vorbei. Doch immer wieder kommt es zu tragischen Begegnungen von Fußgängern und Radfahrern mit Autos, Bussen, Straßenbahnen und Lkw. Und nicht immer ist der tote Winkel die Ursache für die oftmals tödlichen Kollisionen.

Dass Verkehrslärm eine Form von akustischer Umweltverschmutzung ist, die Stress verursacht und der Gesundheit schadet, steht außer Frage. Auf Schallemissionen komplett zu verzichten oder sie mit Hilfe der Technik einfach zu ignorieren, scheint jedoch auch keine überzeugende Lösung zu sein.

Tempo 30 innerorts unter Beobachtung

Es ist zu vermuten, dass die Diskussion um Tempo 30 innerorts – für viele, die täglich auf ihr Auto angewiesen sind, ein rotes Tuch – auch mit Blick auf die Lärmbelastung wieder an Fahrt gewinnt.

In einer bereits im Januar 2017 erschienenen Broschüre „Wirkungen von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen“ verweist das Umweltbundesamt auf die überwiegend positiven Wirkungen: „Den vorliegenden Begleituntersuchungen zufolge gibt es in den meisten Fällen Gewinne bei Verkehrssicherheit, Lärm- und Luftschadstoffminderung und bei den Aufenthaltsqualitäten – gleichzeitig wird die Auto-Mobilität nicht übermäßig eingeschränkt.“

Zugleich wird jedoch eingeräumt, dass Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen ein noch zu wenig erforschter Aspekt in der Verkehrswissenschaft sei, vorhandene Regelungen zu selten evaluiert würden und es noch keine Qualitätsstandards für Begleituntersuchungen gebe. Ob sich daran inzwischen etwas geändert hat? Die Diskussion wird es zeigen.

 

 

 


Foto: Benjamin Zweig

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