KI und Datennutzung im Dienst der Mobilität

Künstliche Intelligenz – kurz KI – erlaubt es Computern, komplexe Dinge mitunter besser und vor allem schneller zu erledigen als es uns Menschen möglich ist. Zum Beispiel Muster und Strukturen in großen Datenmengen zu erkennen und daraus Schlüsse zu ziehen. So können z.B. in der Krebsdiagnostik KI-Systeme dabei helfen, MRT-Aufnahmen des menschlichen Körpers schnell und verblüffend zuverlässig auf verdächtige Gewebestrukturen hin zu untersuchen. KI birgt aber auch erhebliche Risiken. Etwa wenn sie genutzt wird, um dokumentarische Foto- und Filmaufnahmen täuschend echt zu fälschen – Stichwort Deep Fakes. Vorsicht im Umgang mit dem Potenzial neuer Technologien war noch nie verkehrt. Doch verantwortungsvoll angewendet, kann KI auch für unsere Mobilität neue Wege erschließen. Um Fahrzeuge individuell oder gemeinschaftlich optimal zu nutzen, Lieferprozesse nachhaltig und wirtschaftlich zu organisieren, E-Autos optimal zu laden oder autonomes Fahren zu ermöglichen. Die Anwendungen für KI-getriebene Mobilität sind vielfältig, mitunter noch nicht ganz ausgereift, aber bei weitem noch nicht ausgereizt. Hier ein paar Beispiele.



Beispiel 1: Crowd my Region
Beispiel 2: LOUISE
Beispiel 3: MobilityLab Erfurt – Intelligentes KI-Quartier
Beispiel 4: Service-Plattform für Mobilitätsdienstleistungen („MaaS“ – Mobility as a Service)

Beispiel 1: Crowd my Region

Dieses Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe eines Mitbring-Netzwerkes die Grundversorgung im ländlichen Raum zu verbessern und die Attraktivität des regionalen Handels zu steigern. Hierfür wurde eine App namens Marktfee entwickelt. Mit dieser App können die Nutzerinnen und Nutzer Waren aus dem Sortiment regionaler Geschäfte kaufen und sich an eine zentrale Abholstation, eine Packstation in ihrer Nähe oder zu sich nach Hause liefern lassen.

Alles eine Frage der Organisation

Doch anders als bei herkömmlichen Lieferdiensten, wie z.B. Lieferheld, Deliveroo etc. übernimmt die Lieferung nicht ein externer Dienstleister, sondern ein Nachbar, der ebenfalls diese App nutzt. Es handelt sich strenggenommen also nicht um einen Liefer- sondern um einen Mitbringdienst. So sind das Herzstück der App integrierte Algorithmen, die das Bewegungsprofil des Nutzers auf dem Smartphone erfassen, auswerten und auf dieser Grundlage dem Nutzer, der sich für den Mitbring-Service angemeldet hat, entsprechende Pakete zur Mitnahme und Auslieferung an die Adresse/n in seiner Nachbarschaft anzeigen.

Als Entlohnung für seinen Nachbarschaftsdienst erhält der Betreffende einen Gutschein oder eine Vergünstigung von den an dem Mitbring-Netzwerk beteiligten Geschäften. Der Vorteil dieses Konzeptes: Es wird kein zusätzlicher Lieferverkehr erzeugt, sondern der ohnehin anfallende Verkehr genutzt.

Weitere Informationen und App-Download "Marktfee.App"

Beispiel 2: LOUISE

LOUISE steht für „Logistik und innovative Services für urbane Regionen“ und verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie „Crowd my Region“. Auch hier liegt der Fokus auf dem ländlichen Raum und kleinstädtisch geprägten Regionen, in denen die Versorgungssicherheit gefährdet ist, weil der lokale Handel auf der Strecke zu bleiben droht. Ein regionales Internet der Dienste und Dinge, das die Kaufkraft regional bindet, ist das Ziel von LOUISE.

Das Projekt entwickelt eine Plattform für die Modellstadt Bottrop. Auf dieser Plattform werden der internetbasierte Warenverkehr und die Logistik dahinter verknüpft. Ziel des Ganzen soll eine City-Infrastruktur und ein Netzwerk sein, in das private Haushalte, der stationäre Einzelhandel in der Region, lokale Dienstleister und Logistikunternehmen eingebunden sind. Genutzt werden soll das Ganze wieder per eigens entwickelter App, die alle Angebote bündelt und bequemes Online-Einkaufen ermöglicht. Die Einkäufe werden dann mit emissionsarmen Fahrzeugen zu den Kundinnen und Kunden, einer Packstation mit Schließfächern oder zu Service-Points geliefert.

Die Erfahrung zeigt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Appelle an Umweltbewusstsein und individuelle Verantwortung reichen da nicht aus. Um gegen Amazon und Co. eine Chance zu haben, müssen die regionalen Angebote und Services ebenso komfortabel nutzbar sein.

Soweit die Theorie

Der letzte Eintrag auf Facebook-Seite des Projekts datiert vom 16.Dezember 2021. Er verweist darauf, dass die öffentliche Förderung für das City-Logistik-Projekt zum 31.12.2021 ausläuft. Der dort gepostete Link für weitere Informationen führt ins Leere. Wie es scheint, sind auch regionale Online-Angebote keine Selbstläufer.

Auf der Website der Stadt Bottrop findet sich folgendes Resümee (Auszug) dazu:
„Wir waren mit unserem onlinebasierten Louise-Projektansatz in Bottrop leider zu früh dran“, schlussfolgert auch Dorothee Lauter von der Wirtschaftsförderung. „Der Fokus vieler Bottroper Händlerinnen und Händler liegt nach wie vor auf dem stationären Geschäft.“ Ein Umstand, mit dem die Stadt Bottrop nicht allein dasteht. So beträgt 2021 der Online-Anteil am Umsatz des Einzelhandels über alle Branchen hinweg (ohne Lebensmittel) gemäß des Handelsverbandes Deutschland knapp über 18 Prozent. „Der stationäre Handel ist im Netz kaum sichtbar“, ergänzt Lauter. „Dementsprechend ist es für uns als Wirtschaftsförderung das Ziel, die Händlerinnen und Händlerinnen dabei zu unterstützen, ihre Sichtbarkeit im Netz zu erhöhen, um mit ihrem stationären Angebot gefunden zu werden und so auch neue Kundinnen und Kunden gewinnen.“

Für Januar 2022 plante die Wirtschaftsförderung deshalb gemeinsam mit der Wirtschaftsallianz Bottrop und den Digitalcoaches des Handelsverbandes NRW eine entsprechende Online-Workshopreihe, die allen Interessierten geeignete Werkzeuge an die Hand geben soll, um selbst die digitale Sichtbarkeit des eigenen Angebots zu erhöhen.

Hat LOUISE eine Zukunft?

Ob dieses Angebot ausreicht, um LOUISE zum Erfolg zu verhelfen, bleibt abzuwarten. Zumindest zeigt das Projekt, dass der Einsatz fortschrittlicher Technologie allein oft nicht ausreicht. Akzeptenzprobleme in der Nutzerschaft und Defizite in anderen Bereichen, hier die unzureichende Online-Präsenz des lokalen Einzelhandels, führen dazu, dass Vorhaben wie LOUISE scheitern.

Beispiel 3: MobilityLab Erfurt – Intelligentes KI-Quartier

Im Rahmen des Projekts „Bauhaus.MobilityLab“ kommt der Erfurter Stadtteil Brühl zu besonderen Ehren. Er dient als erstes KI-Reallabor Deutschlands. Hier wird maschinelles Lernen in vielfältigen Anwendungen entwickelt und erprobt: Ampeln, die bedarfsgerecht und dem Verkehrsaufkommen entsprechend geschaltet werden; Lieferungen, die kundenorientierter zugestellt werden; lokale Energieerzeugung, die Stromkosten reduziert, sowie intelligente Tarifsysteme, die den Ladepreis für Elektroautos bestimmen.

Generelles Problem dabei: Bis heute gibt es kein Patentrezept für die Citylogistik von morgen. So müssen neue Konzepte vor allem nach dem Prinzip Versuch und Irrtum getestet und bewertet werden. Im Bauhaus.MobilityLab-Projekt übertragen die beteiligten Partner im Kerninnovationsfeld Extended Urban Modelling (erweiterte Modellierung städtischer Prozesse) einen aus anderen Bereichen bekannten Ansatz auf den Anwendungsfall Citylogistik: den digitalen Zwilling.

Ausprobieren am Modell

Der Begriff „digitaler Zwilling“ (engl.: „digital twin“) beschreibt eine detailgenaue, virtuelle Abbildung der Realität mit allen relevanten Daten, Informationen und Verknüpfungen. Im Bereich der Citylogistik sind dies z. B. ein reales Logistiknetzwerk oder eine Lieferkette mitsamt den darin genutzten Prozessen, Ressourcen und Kapazitäten. Durch Anwendung des digitalen Zwillings kann jede Veränderung des operativen Systems im Voraus simuliert und in seiner Wirkung auf den Gesamtprozess bewertet werden – und zwar auf Grundlage realer Daten.

Im Ergebnis wird ein digitaler Zwilling für die Citylogistik entstehen, welcher wiederum als Laborwerkzeug für weiterführende Innovationsprojekte auf der Laborplattform zur Verfügung steht. Durch diese Serviceintegration können dann im Bauhaus.MobilityLab künftig u. a. folgende Fragestellungen bearbeitet werden:

  • Wie können Fahrzeuge in der Letzte-Meile-Zustellung effizienter eingesetzt werden, eventuell auch dienstleisterübergreifend?
  • Welche Auswirkungen hat der Einsatz von Elektrofahrzeugen oder Lastenfahrrädern bei der Letzte-Meile-Zustellung auf Kosten, Emissionen und Lärm?
  • Können Ausliefertouren mit Fahrzeugen und Lastenfahrrädern wirtschaftlich kombiniert werden (zweistufige Tourenplanung)?
  • Ist die Errichtung von Paketstationen wirtschaftlich sinnvoll? Wenn ja, wo sollten diese Standorte errichtet werden? Welche Auswirkungen hat dies auf Service, Kosten und Emissionen?
  • Wie wirken sich veränderte Rahmenbedingungen, z. B. die Verkehrsberuhigung ganzer Quartiere, auf Ressourceneinsatz, Kosten und Emissionen aus?

Viele Interessen müssen unter einen Hut

Der besondere Vorteil eines digitalen Zwillings als Simulationsmodell ergibt sich aus der parallelen Betrachtung und Optimierung von Chancen und Risiken aus Sicht der diversen Citylogistik-Interessengruppen. So hat z.B. die Stadtverwaltung ein Interesse daran, dass die Grenzwerte für die Luftqualität eingehalten werden und der Bedarf von Parkraum minimiert wird. Industrie und Handel hingegen wollen die individuellen Logistikkosten reduzieren. Die Logistikdienstleister wiederum möchten ihren Umsatz und ihre Margen erhöhen. Und dann sind da natürlich auch noch die Lieferkunden, die eine möglichst komfortable, günstige und schnelle Zustellung erwarten.

Die im Simulationsmodell mit Hilfe des digitalen Zwillings entwickelten und experimentell erprobten Citylogistik-Innovationen lassen sich mit vergleichsweise geringem Aufwand auch auf andere Städte übertragen. Diese können sie dann ebenfalls erproben, auswerten und im Sinne einer nachhaltigeren Citylogistik zügig umsetzen.

Weitere Informationen zum Projekt

Beispiel 4: Service-Plattform für Mobilitätsdienstleistungen („MaaS“ – Mobility as a Service)

Städte, Regionen und Länder werden überall auf der Welt mit vergleichbaren Herausforderungen der Mobilität konfrontiert (z. B. Verkehrsbelastung, Luftverschmutzung, Ladesäulenverfügbarkeit, Mangel an Parkplätzen). Und sie alle versuchen, geeignete und nachhaltige Lösungen zu finden. Zudem ist es ein wichtiges Ziel, Innovation und Wachstum ihrer lokalen Wirtschaft sowie die Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger zu fördern.

Die intelligente Stadt nimmt bereits heute in vielfältiger Weise Gestalt an. Zukünftig wird sie aber noch stärker auf die Arbeitsprozesse einwirken und die Lebensumstände der Menschen berücksichtigen müssen Dabei sind Daten eine Schlüsselressource, um eine Stadt intelligenter zu machen. Smartphones, Uhren und Tablets sowie vielfältige Sensoren und Computersysteme erzeugen kontinuierlich Datenströme, die beschreiben, was genau wo und wann in einer Stadt passiert.

Nur vernetzte Daten sind gut genutzte Daten

Derzeit sind die erzeugten Daten jedoch oft nur in nicht miteinander vernetzten Datensilos verfügbar und können daher nicht oder nur mit großem Aufwand für innovative Lösungen kombiniert verarbeitet werden. Mangelnde Bereitschaft zum Teilen der Daten und fehlende technische Voraussetzungen sind weitere Herausforderungen, die es in der Zukunft zu meistern gilt.

Die mangelnde interoperable Vernetzung unterschiedlicher Anbieter hemmt die Flexibilität sowohl für Privat- als auch Firmenkunden, verschiedene Verkehrsmittel nutzen zu können und übergreifend ideale Routen zu planen.

MaaS – offene Plattform als Basis für vielfältige Anwendungen

Im Projekt Smart MaaS wurde eine offene und modulare Serviceplattform entwickelt, in die verschiedene Mobilitätsangebote und -services integriert wurden, um sie gebündelt nutzbar zu machen. Vernetzt wurden dabei neben Ticket- und Bezahldiensten auch Anbieter von Fahrzeugen bzw. Sharing-Diensten, ÖPNV-Betreiber sowie Umweltsensoren und IoT-Geräte (Internet of Things/Geräte, die über das Internet gesteuert werden können).

Die Entwicklung der Plattform erfolgte modular, um eine Einbindung in andere Anwendungen und Plattformen, besonders Smart-City-Konzepte, zu ermöglichen. Das Förderprojekt war Teil des BMWi-Technologieprogramms „Smart Service Welt II“ und wurde im Juni 2021 von den beteiligten fünf Konsortialpartnern erfolgreich beendet werden.

Alle Daten - alles bestens?

Was bei aller Euphorie über das Potenzial optimal vernetzter und somit ideal genutzter Daten leicht übersehen wird, ist der starke Wettbewerb auf dem Markt der Mobilitätsdienste. Denn auch hier gilt wie überall: Es geht ums Geschäft. So werden etablierte Anbieter von Mobilität oder multimodalen Mobilitätsdiensten nicht ohne weiteres bereit sein, sich an einem digitalen Ökosystem zu beteiligen, das den Wettbewerb in der Branche fördern könnte, wenn sie keine klaren Vorteile für sich sehen oder gar um ihre Marktposition fürchten müssen.

Alles schreit nach Vernetzung

Gleichzeitig ist der Bedarf weiterer Vernetzung jedoch zwangsläufig gegeben. Neben der allgemein zunehmenden Digitalisierung im Fahrzeugbereich (Navigation, Infotainment, Assistenzfunktionen) erfordert insbesondere der Zuwachs bei der sowohl privaten als auch gewerblichen Elektromobilität intelligente digitale Lösungen wie z. B. eine optimierte Auslastung der Ladeinfrastruktur mittels flexibler Stromtarife oder spezifischer Park- und Ladekonzepte für den Lieferverkehr.

Perspektivisch werden auch autonome Fahrzeuge an Bedeutung gewinnen, die eine Vielzahl digitaler Sensoren und KI-basierte Algorithmen zur Umgebungserfassung und Steuerung erfordern, was in einfacherer Form teilweise bereits heute in Assistenzsystemen (Spurhalteassistent, Einparkhilfe) Verwendung findet. Auch hier liegen die Anwendungsmöglichkeiten sowohl in der Personenbeförderung (autonome Taxis und Busse) als auch in Warentransport und -verteilung.

Horizontal ist das neue Digital

Mit der zunehmenden Verbreitung von Sharing-Angeboten werden zudem intelligente, multimodale Planungstools nötig, die neben der optimalen Route und Verkehrsmittelwahl auch deren Verfügbarkeit und Preis mit einberechnen. Dies erfordert allerdings den vernetzten Zugriff auf die Daten aller Mobilitätsanbieter, was derzeit noch oft an fehlenden Schnittstellen oder mangelnder Bereitschaft zum Teilen der Daten scheitert.

Ähnliche Vorbehalte gegenüber dem Datenteilen sind auch in der Logistik sowie vielen anderen Wirtschaftsbereichen leider noch weit verbreitet. Hier können jedoch sichere und datenschutzkonforme „Data Sharing“-Plattformen eine geeignete Lösung darstellen.

Ohne share kein Verkehr

Viele gesamtheitliche Lösungen für Mobilität, Verkehr und Logistik erfordern somit weniger die oftmals bereits erfolgte Digitalisierung von Einzelvorhaben oder Teilbereichen, sondern vielmehr deren intelligente Vernetzung. Dies ermöglicht perspektivisch die vielzitierte „Smart City“ bei gleichzeitiger Stärkung kleinstädtischer und ländlicher Regionen – denn auch das ist „Nachhaltigkeit“ im besten Sinne.

Der Erfolg von effizienten und nachhaltigen Mobilitätskonzepten ist also nicht nur von unserer Bereitschaft abhängig, Individual-Fahrzeuge und andere Verkehrsmittel optimal multimodal und gemeinschaftlich zu nutzen. Er steht und fällt auch mit der Bereitschaft, die verfügbaren Datenschätze optimal multimodal und gemeinschaftlich nutzbar zu machen. Ohne Datenverkehr kein Personen- oder Lieferverkehr. Ob und wie das gelingt – wir werden es erfahren.


 

 

 


Foto: Montri

Merken