Autonomes Fahren - Stand der Dinge

Würden Sie nicht auch lieber etwas lesen, einen Film schauen oder sich Ihren Passagieren an Bord widmen, statt Ihr Auto durch das tägliche Stop-and-Go zu steuern? In Bus und Bahn war das eigentlich schon immer möglich, aber auch Autofahrer sollen das in nicht allzu ferner Zukunft tun können. In den USA sind die diesbezüglichen Entwicklungen denen hierzulande ein bis zwei Jahre voraus. U.a. weil die rechtlichen Rahmenbedingungen dort bereits mehr zulassen als in Deutschland. So nutzen auch deutsche Autobauer die Möglichkeiten, ihre Technologien im Ausland voranzutreiben. Doch Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn nicht gelten würde: Safety first.

Fortschritt trifft Skepsis

Umfragen in Deutschland zufolge trauen noch immer rund 45 Prozent der Befragten den technologischen Bestrebungen mit dem Ziel des autonomen Fahrens nicht über den Weg. Berichte aus den USA über ausgebrannte Teslas, die, vom Fahrer auf Autopilot geschaltet, in die Katastrophe gerauscht sind, helfen nicht gerade, dieses Misstrauen zu zerstreuen. Dabei zeigen aktuelle Unfallstatistiken, dass Assistenzsysteme dazu beitragen, die Zahl der Unfälle mit Schwerverletzen oder Toten zu verringern.

Es spricht also viel dafür, dieser technologischen Entwicklung zu vertrauen, vor allem, wenn man bedenkt, dass bei 90 Prozent aller Unfälle menschliches Versagen die Ursache ist. Dennoch wird das autonome Fahren nicht über Nacht kommen. So rechnet z.B. die Prognos-Studie von 2018 zu dem Thema damit, dass sich auch bis weit ins 21. Jahrhundert hinein konventionelle und autonom fahrende Fahrzeuge die Straßen teilen werden.

Wann sind wir endlich da?

Das optimistische Szenario der Prognos-Studie geht von folgenden Zeiträumen und Entwicklungsstufen aus:

  • Anstieg des Anteils der Neufahrzeuge mit Autobahnpilot (komplette Übernahme der Fahraufgabe) von 2,4 Prozent im Jahr 2020 auf 70 Prozent im Jahr 2050.
  • Ab 2030: Einführung von Fahrzeugen mit Citypilot (komplette Übernahme der Fahraufgabe auf Autobahn und im Stadtverkehr).
  • Nach 2040: Größeres Angebot an Fahrzeugen, die komplett autonom von Tür zu Tür fahren können und auch auf Landstraßen die Fahraufgabe komplett übernehmen.

Vorreiter und Pilotprojekte

Als Technologieführer gilt zurzeit das US-Unternehmen Waymo, ein Tochterunternehmen des milliardenschweren Technologie-Konzerns Alphabet, zu dem auch der Internet-Gigant Google gehört. Waymo bietet bereits einen Roboter-Taxi-Service in einem Vorort von Phoenix in Arizona an. In den Fahrzeugen sitzt, als vertrauensbildende Maßnahme, ein Fahrer hinter dem Steuer, aber nur passiv. Denn Roboter-Taxis sind inzwischen so zuverlässig, dass der Fahrer statistisch nur 0,09 Mal pro 1.000 gefahrene Kilometer eingreifen muss.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich der kommerzielle Erfolg der Roboter-Taxis derzeit noch in Grenzen hält. Laut Manager-Magazin benötigte das Unternehmen ab Start des kommerziellen Betriebs sechs Monate, um das Vertrauen von 1.000 regelmäßigen Kunden zu erwerben. Auch ein Hinweis auf die offensichtlich nicht nur hierzulande bestehende Technikskepsis.

Doch auch deutsche Unternehmen wie Bosch und Daimler testen in den USA bereits Technik für selbstfahrende Autos in einem App-basierten Mitfahrservice. So kann sich seit Dezember 2019 im Silicon Valley ein ausgewählter Nutzerkreis per selbstfahrendem S-Klasse-Mercedes von West-San-José ins Zentrum chauffieren lassen. Der Wagen wird per App zum Abholort gerufen und fährt dann, ebenfalls mit einem passiven Sicherheitsfahrer am Steuer, zu einem vorab festgelegten Ziel im Herzen der kalifornischen Metropole.

Die Projektbeteiligten erhoffen sich Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von serientauglichen Systemen für automatisiertes Fahren. Gleichzeitig gehen sie dabei aber auch der Frage nach, wie sich selbstfahrende Autos in ein intermodales Mobilitätssystem mit öffentlichem Personennahverkehr und Car Sharing einbinden lassen.

In Japan wird derweil ebenfalls in großen Dimensionen gedacht. So hat z.B. Toyota-Chef Akio Toyoda im Januar 2020 auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas angekündigt, eine experimentelle Stadt der Zukunft in Japan bauen zu wollen, eine „Woven City“, um Technologien wie das autonome Fahren verstärkt in realen Umgebungen zu testen.

Die Länder im Vergleich

Wie gut einzelne Länder für die Revolution der Beförderung gewappnet sind, darüber gibt der Autonomous Vehicles Readiness Index (AVRI) 2019 Auskunft. Er vergleicht und bewertet 25 Länder anhand ihrer Voraussetzungen in den Bereichen Politik/Gesetzgebung, Technologie/Innovation, Infrastruktur und Kundenakzeptanz.

So rangieren auf Platz 1 die Niederlande, wie bereits 2018, gefolgt von Singapur, Norwegen, USA und Schweden. Deutschland belegt Platz 8. Dem Bericht zufolge steht die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes in einem engen Zusammenhang mit der Bereitschaft für autonome Fahrzeugtechnologien. Als weitere wichtige Faktoren werden ein ausgezeichneter Zustand der Straßen, ein gut ausgebautes Mobilnetz sowie Investitionen und Innovationen durch die Privatwirtschaft benannt. Also auch in diesen Punkten scheint es in Deutschland noch etwas Nachholbedarf zu geben, um ganz vorne mitzuspielen.

Deutschland auf Autopilot

Um die unterschiedlichen Stufen auf dem Weg zum autonomen Fahren besser unterscheiden zu können, hat sich die Society of Automotive Engineers (SAE), deutsch der Verband der Automobilingenieure, auf ein fünfstufiges System verständigt.

Menschlicher Fahrer kontrolliert Fahrumgebung (Stufe 0 bis 2):

  • Stufe 0: Assistenzloses Fahren („Driver only“)
  • Stufe 1: Assistiertes Fahren
  • Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren

Automatisches Fahrsystem kontrolliert Fahrumgebung (Stufe 3 bis 5):

  • Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren (HAF)
  • Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren (VAF)
  • Stufe 5: Autonomes Fahren (AF)

Wie u. a. die Tests von Daimler und Bosch in den USA zeigen, ist die Industrie technologisch schon beim autonomen Fahren angekommen. In der Praxis befinden wir uns jedoch noch auf einer der Vorstufen zum echten autonomen Fahren. Seit 2017 sind Fahrsysteme der Stufe 3 in Deutschland zugelassen.

Noch 2020 werden die ersten HAF-Fahrzeuge (mit Systemen zum hochautomatisierten Fahren) im Straßenverkehr auftauchen. Diese Fahrzeuge sind in der Lage, die Fahrt, zunächst auf Autobahnen, nahezu komplett zu übernehmen. Ein HAF-System ist ausreichend intelligent, um Standardsituationen allein zu bewältigen: Es kann lenken, bremsen und vor kritischen Situationen warnen. Die Verantwortung bleibt jedoch komplett beim Fahrer. Entsprechend ist das System so ausgelegt, dass der Fahrer jederzeit eingreifen kann. Ist der Automatikmodus aktiviert, kann der Fahrer seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden, er muss jedoch ansprechbar bleiben. Überdies muss ihm das System genügend Zeit lassen, reagieren und eingreifen zu können.

Diese Bedingungen setzen der Fahrgeschwindigkeit im Automatikmodus der Stufe 3 gewisse Grenzen. Aber auch autonomes Fahren der Stufe 5 dürfte sich eher im Geschwindigkeitsbereich von 130 km/h abspielen als bei Tempo 200 oder höher. Denn der damit einhergehende technische Aufwand wäre immens und auch wirtschaftlich unrentabel. In den meisten Ländern gelten bereits heute Tempolimits um die 130 km/h. Sollte Deutschland bis dahin kein Tempolimit haben. Spätestens mit Beginn der Ära des autonomen Fahrens dürfte es unausweichlich sein.

Teststrecken in Deutschland

Auch hierzulande wird Technik für vernetzte und automatisierte Fahrzeuge getestet. Ein digitales Testfeld dafür wurde auf der A9 in Bayern eingerichtet.

Bei einem Teststrecken-Projekt in Hamburg sind Ampeln und eine Brücke mit Technik bestückt, mit der sie Informationen an Fahrzeuge senden können. In Berlin wurde die 3,6 Kilometer lange Strecke zwischen Brandenburger Tor und Ernst-Reuter-Platz mit entsprechender Technik ausgerüstet. Dort sollen auch per Computer gesteuerte Testwagen fahren, lediglich mit einem passiven Fahrer besetzt, der im Notfall eingreifen kann.

In Niedersachsen entsteht derzeit ein Testfeld des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) . Dort sollen automatisierte und vernetzte Fahrzeuge erprobt sowie Fahrverhalten und Verkehrsfluss erfasst und analysiert werden.

In Berlin startete bereits 2016 das weltweit erste Smart-Parking-Projekt. Es ging der Frage nach, wie sich Parkraumnutzung und Parksuchverkehr radargestützt und per Echtzeitnavigation optimieren ließen. (Wir berichteten.)

Wo hakt es noch?

Vor allem rechtliche Aspekte sind zu klären: Wer haftet im Falle eines Unfalls: Der Fahrzeughersteller, der Software-Anbieter, der Infrastrukturbetreiber? Wie entscheiden die Systeme in Gefahrensituationen? Wie sicher können und müssen sie sein? Wie können sie gegen Hackerangriffe geschützt werden? Die Debatten aller in diese Fragen Involvierten – u.a. Autoversicherer, Ethiker, Kommissionen – haben aber gerade erst begonnen.

Und dann gibt es noch die anspruchsvollen technischen Probleme, die ihrer Lösung harren. Während der Autobahn- und Stadt-Verkehr technisch weitgehend bewältigbar scheint, lauern echte Herausforderungen offenbar noch auf der Landstraße, dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

So wurde ein Modellprojekt, das gerade in Osnabrück getestet wird, in Mecklenburg-Vorpommern vorerst gestoppt. Hubi, der kleine autonom fahrende Bus, funktioniert auf dem Land nicht. Während Hubi in Osnabrück seine Fahrgäste brav und zielgenau über die öffentlichen Straßen kutschiert, streikt er auf dem platten Land. Grund: Ihm fehlen die Gebäude an den Straßenrändern, an denen er sich mit seinen Sensoren entlanghangeln kann. Bäume und Sträucher reichen offensichtlich nicht. Somit ist diese Technik bisher nur innerorts nutzbar. Und für die Entwickler und Ingenieure bleibt noch einiges zu tun, bis wir uns auch auf der Landstraße komplett autonom chauffieren lassen können.

 

 

 


Foto: metamorworks

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